Donnerstag, 30. August 2007

Notting Hill Carnival 2007
Tag 2: Sonntag

Nach dem nächtlichen Exzess sind wir brav um 12 Uhr aufgestanden und machten uns zügig auf den Fussweg nach Ladbroke Grove. Schließlich beginnt der Carnival um 13 Uhr und endet 6 Stunden später. Da will man alles mitnehmen. Zehn Minuten später liessen wir das erste Soundsystem links liegen und cruisten in Richtung Talbot Road, nicht ohne vorher Verpflegung in Form einer großen Dose Red Stripe aufzunehmen. Red Stripe ist eigentlich ein jamaikanisches Pils, welches mittlerweile in Großbritannien in Lizenz gebraut wird. Schmeckt irgendwo zwischen Veltins und Rolling Rock, ist also sehr lecker und schwerst bekömmlich.

Auf dem ganzen Weg freute ich mich schon auf Gaz's Rockin Blues, das Soundsystem von Gaz und Jason Mayall (den Söhnen von John), zwei völlig sympathisch Bekloppten. Letztes Jahr hatten sie auf 30 Meter einen Flugzeug-Absturz im Dschungel simuliert, dieses Jahr war es eine Mischung aus Gotham City und Mad Max. Einfach abgefahren und genial. Jason legte gerade einen Mix aus groovendem Uralt-Jazz, bläser-getriebenem Ska, mitreissendem R&B, Elvis und gar ein paar Cumbias auf. Das wäre ein Mixtape... Da wollten wir eigentlich garnicht weg, schlurften aber weiter bis ans andere Ende des Areals zu Norman Jay und seinem Good Times Doppeldecker.

Der Platz an der West Row war gegen 14 Uhr schon gut gefüllt und Norman begeisterte uns mit einer relaxten Auswahl an Carnival Classics, die zu dem Zeitpunkt mehr auf Groove als auf Four-to-the-floor setzten. Und das alles bei geschätzten 28 Grad, einer kalten Dose Red Stripe in der rechten Hand, die linke jubilierend in den Himmel gereckt. In 5-Minuten Abständen hörte ich Axel fortan "Ein Traum!" murmeln. Und das traf den Nagel auf den Kopf.

Gegen 16 Uhr machten wir uns wieder in Richtung Gaz Mayall auf, nicht ohne bei Mickey Dread vorbei zu schauen, der mit seinem einen Plattenspieler ultradeepen Rootsreggae auf die Menge losließ und der Massive mit seinen drei zirka 3x3 Meter großen Boxentürmen die Eingeweide massierte. Dazu spielte er mit seinen selbstgebastelten Effekten (die Kisten da im Hintergrund) rum, zündete hin und wieder den Sub-Bass und zeigte sich gar gesprächig (die "Peace and Unity! One big family!" Nummer) während er die Platten wechselte. Alles in allem: fett!

Bei Gaz's Rockin Blues stand derweil Number One Station auf der Bühne, eine Bande angegrauter Ska-Freaks in Marvel-Kostümen. Erstklassig! Party! Nach Ende des Sets fanden wir uns plötzlich auf der Bühne wieder, tanzten uns die Füße wund, lechzten kaffeebraune Schönheiten an, verbrüderten uns mit der halben Welt und sinnierten mit einigen Briten darüber, warum das Leben nicht immer so sein könnte. Irgendwann sind wir dann wieder runter von der Bühne und ich stieg von Red Stripe auf Kryptonite um, weil ich rein von der Flüssigkeitsmenge mit der Verklappungsmaschine Axel nicht mithalten konnte. Kypronite war ein grüner Cocktail, der in der Batcave unter der Gaz-DJ-Kanzel verkauft wurde. Die beiden Jungs hatte ich letztes Jahr schon auf die Afterparty angesprochen und auch 2007 bekam ich die gleichen Direktiven wie 2006: "Go to the end of Latimer Road. It's under Westway!"

Dann machte Jason Mayall den Türsteher und wurde von einer menschgewordenen Killermaschine belästigt, die unbedingt hinter die Bühne wollte. Mindestens 10 Minuten biss er auf Granit, plötzlich ging Jason an mir vorbei und der Riese war der neue Türsteher! Grinste mich an, gab mir die Hand und zog meinen vergleichsweise schmalen Körper gefühlte 3 Meter durch die Luft. Hinter die Barriere. Also rauf auf die Bühne und weiter getanzt.

Irgendwann war der Spass dann vorbei und Axel und ich schleppten uns ziemlich randvoll zum Burger King in Notting Hill Gate. Wortlos verspeisten wir unser Meal (Spicy Beanburger - kann ich nur empfehlen), schauten uns mit glasigen Augen an und hatten uns nicht mehr viel zu sagen. Dann gingen wir in Richtung Bus, stiegen in die 390 ein, ich schaute mich um und mein Sidekick Axel war weg! Ich hatte ihn verloren! Es war sein erster Londontrip, ich hatte keine Ahnung, ob er den Namen des Hotels memoriert hatte, ehrlich gesagt war ich mir in seinem Zustand nicht mal sicher, ob er überhaupt wusste, das er in London war. Aber Axel hatte bereits 30 Minuten nach London-Ankunft in den Vergnügungsmodus geschaltet (dann bringt ihn höchstens schlechte Musik aus der Fassung) und ich war mir sicher, daß er sich irgendwie alleine durchschlagen würde. Wahrscheinlich würde ihn irgendwann eine Gruppe brasilianischer Tänzerinnen mit Mutterinstinkt aufgreifen...

Nach einer 2 stündigen Chill-Session im Hotel machte ich mir dann aber doch Sorgen. Sein Zimmer war nicht besetzt, ich hatte ihn vor gefühlten 3 Stunden verloren und die zurückzulegende Wegstrecke betrug höchstens 3 Kilometer. Ich wollte gerade der netten Hotelfachfrau ein S.A.S. (save Axel's soul) übermitteln, da stand Axel plötzlich hinter mir. Er war direkt in der Rossetti Bar des Hotels hängen geblieben. Aber ich war ausgeruht und nun bereit für sowohl Sodom als auch Gomorrha und machte mich schließlich alleine auf den Weg zu "the end of Latimer Road" - denn mit den Mayall's eine Afterparty feiern sollte die Krönung des Trips werden...

Letztes Jahr hatte ich mir mit meinem Kumpel Barti schon einen Abend versaut und vergebens nach der Party gesucht, dieses Jahr war ich 3 Stunden später (23 Uhr) in der Gegend unterwegs, fand natürlich den Westway (eine 4-spurige Stadtautobahn auf Riesenstelzen), traf aber nur auf die gleiche House-Party wie letztes Jahr. Also habe ich die verf****te Afterparty auch 2007 nicht gefunden.

Kumpel Party nun mailte mich gestern an und wollte Bericht. Als ich ihm schrob, daß ich wieder kein Glück hatte, antwortete er folgendes:
"Das mit den Mayalls ist wirklich mysteriös. Wahrscheinlich ist die Adresse in Wahrheit ein Code für den Eintritt in ein Paralleluniversum und uns ist es nicht gegeben, diesen Code zu knacken. Zuzutrauen ist denen vieles :-)."
So wird es sein. Ich bin dann noch rüber zum Neighborhood und der Afterparty von Norman Jay, aber da bluteten die Füße schon, die Laune war irgendwie versaut und die Musik zu sehr bumm-bumm. Axel hatte sich derweil in der Rossetti Bar die Kante gegeben, einem verängstigten Ehepaar aus Spandau die Welt erklärt und Leute aus Rochdale getroffen, dem einzigen Kaff, das er in Britannien kennt.

Trotz allem: gar schön wars. (R-man)

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