Mittwoch, 16. Dezember 2009

The 2009 Chronicles
Heino Walter
Das Foto zeigt den 2. Teil der Serie DAS NICHT VORHANDENE PLATTENZIMMER. Letztes Jahr konnte man mich an gleicher Stelle vor einem CD-Regal mit Black Music sehen, das in eine ehemalige Tür eingebaut wurde. Platzmangel macht erfinderisch. Dieses Jahr gestatte ich den Lesern einen Blick ins elterliche Schlafzimmer. Hier ist eine Wand mit Tonträgern vollgestellt. Links die LP`s und Box-Sets. Daneben 2 großartige Drömme CD-Schränke von IKEA. Nun aber zu den Jahrescharts: Musikalisch war 2009 bei mir von einigen Inspirationen geprägt, die mich dazu brachten, Hintergründe zu erforschen, mehr zu erfahren, Bekanntes neu zu entdecken und den Horizont zu erweitern. Allen voran die Spoonful Zusammenstellungen. Hier tat sich ein unglaublicher Reichtum an berauschenden, mitreißenden, beglückenden, süchtig machenden, energiegeladenen Emotionen auf, dass es eine Wonne ist. Absolute Pflicht. Und dass ich selber ein Volumen zusammenstellen durfte (# 28 Get It On), dieses Erlebnis lässt sich sowieso nicht toppen. Durch den Spoonful-Genuss habe ich mich aufmuntern lassen, mich mit dem Chess-Sound näher zu befassen. Zunächst las ich das Buch WIE CHESS DEN BLUES VERGOLDETE von NADINE COHODAS. Eine gut recherchierte Abhandlung, so scheint es. Mit vielen Fakten und wenig Spekulationen. Etwas sehr sachlich geschrieben, aber trotzdem flüssig zu lesen. Nach der Lektüre ist man sich jedoch nicht sicher: war Leonard Chess ein Menschenfreund, der seine Musiker fair behandelte oder hat er sie letztlich im Stil eines Kleinkriminellen über den Tisch gezogen? Um das Thema abzurunden, kam der Kinofilm CADILLAC RECORDS grade richtig. Hier hat man zwar nur wenige Eckpunkte der Story des Buches aufgegriffen, aber diese werden unterhaltsam in einen Gesamtzusammenhang gebracht. Die volle Chess-Dröhnung habe ich mir dann mit Chess Chartbusters Vol. 1 – 6 verschafft. Eine tolle Übersicht mit (fast) allen Hits und einigen Entdeckungen (Sugar Pie DeSanto) für wenig Geld beim Mailorder meines Vertrauens aus Beverungen. Tja, ich bin wirklich niemand, der bei jeder Gelegenheit behauptet, früher sei alles besser gewesen, aber der Sound, der in den CHESS- oder SUN-Studios entstand, war schon einzigartig. Aber es gibt natürlich auch heute noch Musiker, die sich am damaligen Klang orientieren und versuchen, ein hohes Energielevel zu transportieren und dabei authentisch zu sein. Dazu gehören sicherlich auch BLACK JOE LEWIS & THE HONEYBEARS. Ihr Album TELL`EM WHAT YOUR NAME IS! vereinigt die besten Tugenden des STAX-Soul mit verschwitztem Rhythm And Blues. Gewürzt wird das Ganze mit einem Schuss Garagen-Rock und James Brown-Funk. Eine explosive Mischung. Zu den Vorbildern von BLACK JOE LEWIS gehören gesangstechnisch HOWLIN`WOLF und WILSON PICKETT. Da kann man sich vorstellen, in welche Richtung das abgeht. Noch mal zurück in die Vergangenheit: Durch eine Story für das großartige Fanzine ROADTRACKS hatte ich mal wieder Gelegenheit, viel und ausführlich BUFFALO SPRINGFIELD zu hören. Natürlich kenne ich die Band seit Jahrzehnten, aber ich war erstaunt, wie frisch und unverbraucht sie immer noch rüberkommen. Dabei mochte ich jetzt das immer ein bisschen in den Hintergrund geratene Debut noch lieber als die hochgelobte 2. Scheibe aus dem Summer of Love. Stephen Stills und Neil Young stachelten sich durch ihre Konkurrenz als Songwriter zu Höchstleistungen an. Sie sprühten vor Ideen und hatten auch die Fähigkeit, diese so umzusetzen, dass sie ihrem Folk- und Country-Gerüst völlig neue Akzente verpassten. Eine wahrlich wegweisende, zeitlose Band. Da kam es genau zur rechten Zeit, dass von Stephen Stills` MANASSAS eine Resteverwertung mit dem Titel PIECES veröffentlicht wurde. Und gleich mit dem ersten Track WITCHING HOUR war sie wieder da, die Gänsehaut, die sich auch damals anno 1972 einstellte, als ich das MANASSAS Doppelalbum von einem Mitschüler abkaufte und wochenlang nichts anderes mehr hörte. In diesem Jahr war PIECES eine willkommene Ergänzung für meinen Westcoast-Abstecher. Meine liebste aktuelle Veröffentlichung war 2009 bisher WILCO (THE ALBUM). Welch eine Entwicklung hat diese Band um JEFF TWEEDY hinter sich. Sie begannen als UNCLE TUPELO-Abspaltung im Americana-Sound und kamen über BIG STAR beeinflusste Epen und artifiziellen Rock zu diesem alle Schritte subsumierenden neuen Werk. Hier entfernen sie sich wieder von den komplizierten Songgebilden ihrer letzten beiden CD`s. Sie bauen zwar immer noch wohldosiert Glam-, Psychedelic- und Krautrock-Widerhaken ein, sind aber insgesamt melodischer und straffer als zuletzt. Es machte Spaß, das Gesamtwerk dieser Band noch mal Revue passieren zu lassen, weil jede ihrer CD`s auf eigentümliche Weise interessant und herausragend ist. BUDDY & JULIE MILLER sind sowohl Solo als auch zusammen eine Bank (darf man diese Umschreibung für Garantie oder Sicherheit überhaupt noch guten Gewissens benutzen?), wenn es um verlässliches Songwriting geht. Die können gar keine schlechten Platten machen. WRITTEN IN CHALK ist erst die 2. CD des Ehepaares. Man hört der Scheibe an, dass sie schon seit Jahren eng verwurzelt musizieren und sich blind verstehen. Die Songs strahlen eine wohlige Behaglichkeit aus, wenn es sich um Balladen und Midtempo-Nummern handelt. Die Rocker sind herzhaft und kantig gespielt und ohne Schnörkel knackig arrangiert. Im Country-Folk-Umfeld gibt es kaum bessere Referenzen als die Millers. Wo Buddy oder Julie Miller draufsteht, ist auch Qualität drin. Erinnert sich noch jemand an die FELLOW TRAVELLERS? Jener Formation, die in den 90er Jahren so einzigartig Folk und Country mit Reggae verband? Deren Vordenker, Sänger und Gitarrist war JEB LOY NICHOLS. STRANGE FAITH AND PRACTICE ist bereits sein 7. Solo-Album und seine zweite Veröffentlichung in 2009 nach PARISH BAR vom Januar. Man lauscht wieder seiner charakteristischen, näselnden, beruhigenden, warmen Stimme und ortet ihn stilistisch zwischen dem Folk-Jazz eines TERRY CALLIER oder JOHN MARTYN, der Astral Weeks Phase von VAN MORRISON, dem smoothen Reggae eines BIM SHERMAN, den introvertierten Tönen eines DAVID SYLVIAN und den schwebenden Gebilden von MARK HOLLIS. Das neue Album wurde mit Londoner Jazz-Musikern und einem Streichquartett eingespielt, was auch prägend ist. Es gibt ihm einen seriösen, erwachsenen Anstrich, nimmt aber auch ein wenig die verführerische Leichtigkeit früherer Aufnahmen. JEB LOY NICHOLS zeigt wieder, dass er ein außergewöhnlicher Songwriter mit Mut zur Veränderung und damit auch zum Risiko ist. Er scheut ausgetretene Pfade und traut sich an ungewöhnliche Sounds und Verbindungen. Man hat auch das Gefühl, da ist noch mehr drin. Nichols ist talentiert genug, weiter zu reifen. Große Klasse, der Mann. Das Debutalbum des Kanadiers DOUG PAISLEY trägt ganz schlicht seinen Namen. Es ist eine ganz entspannte, intime Angelegenheit geworden. Die Spannung liegt dabei in der Souveränität und Reife des Liedgutes, das tief unter die Haut geht. Man hat das Gefühl, der Mann kann Steine zum Weinen bringen, so ergreifend ist seine Musik. Aber er präsentiert uns kein sentimentales Gejammer, sondern herzerwärmende, gefühlvolle, abgeklärte Songs. Die Arrangements sind dabei luftig gehalten, da ist viel Platz zwischen den Noten. Noch ist er ein Geheimtipp, aber seine Klasse müsste ihm eigentlich schon bald mindestens einen anerkannten Insiderstatus einbringen. So war er schon mit BONNIE PRINCE BILLY auf Tournee und man kann sich gut vorstellen, dass sie sich gut ergänzt haben. Beim Hören fühlt man sich mitunter an den frühen TOM RUSH, an den Texaner GUY CLARK, an ERIC ANDERSEN, aber auch an NEIL YOUNG`s AFTER THE GOLDRUSH erinnert. Wenn das keine erstklassigen Referenzen sind… Besagter BONNIE PRINCE BILLY alias WILL OLDHAM hat 2009 meinen Song des Jahres veröffentlicht: BEWARE YOUR ONLY FRIEND, der Opener seines Albums BEWARE. Eine inbrünstige Hymne, der bei man sich kaum zu atmen traut, wenn sie läuft. Man möchte die andächtige Stimmung nicht stören. Perfide ist dabei, dass der morbide Text im Kontrast zur spirituellen Musik steht. Das ganze Album ist durchtränkt von feinem, abwechslungsreichem Hillbilly-Gospel-Folk. Oldhams leicht brüchiger Gesang schwebt als feste Konstante darüber und bildet einen weiteren Kontrapunkt. Sehr diffizil und anregend das Ganze. Es gab noch einige CD`s, die es aus meiner Sicht verdient hätten, hier genannt zu werden, wie z.B. die Werke von BILL CALLAHAN, JIM FORD; BOOZOO BAJOU, FAT FREDDYS DROP und YO LA TENGO. Aber es sollte ja eine Top 10 werden, da muss man Prioritäten setzen. In diesem Sinne: Keep on rockin`in a free world……in 2010!!

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Schade,
dass Black Joe Lewis zum zweiten Mal seine Deutschland-Tour abgesagt hat. Wäre noch ein tolles Konzert gewesen. Wilco und das Nichols Oeuvre hab ich auch komplett. Dieses Jahr aber nicht Top 10, Bill Callahan yes, aber ich greife jetzt vor...
Sonst sehr d'accord mit der Liste.

Noch eine Anekdote aus Berlin, die berichtet wurde: Booker T war dieses Jahr Headliner beim Jazzfest (ausverkauft, war leider nicht da). Als er mit seiner Crazy-Horse-Look-a-Like-Combo dann tatsächlich zum Mauerfall-Jubiläum "Keep on Rockin' in a Free World" anorgelte, verliessen die Puristen tatsächlich den Saal. Hang 'em High:-)
An-Dréad

r-man hat gesagt…

Jau, Hang Em High, das ist mir auch vom letzten shake baby shake sehr positiv in erinnerung geblieben. aber booker t's letztes solowerk ist ja nun unter aller sau, vor allem wegen neil young's scheissgitarre (sorry, abnders kann man es nicht nennen).

r-man hat gesagt…

und zu black joe lewis. famose liveband, sollte man hingehen. aber die jungs haben in germany null plattenfirmaunterstützung und wenn man mit 8-10 leuten durch europa tourt, dann kostet das dementsprechend. kann nur ein desaster werden.

Unrest hat gesagt…

..Buffalo Springfield, was für eine Band. Hab mir dieses Jahr die drei Alben auf Mono Vinyl in Schweden für wenig Geld gekauft. Super, super. Ich glaub, ich werd alt; als erklärter Young-Nichtmöger kommt jetzt sowas.
2010 fang ich noch an Zappa toll zu finden.

Klasse Alben haben dieses JAhr auch Dirty Projectors, Nurses und Oneida gemacht.

Unrest