The 2009 Chronicles
Peter Felkel
Freund Whirlyjoe zitiert anlässlich seiner Jahrescharts Frank Sinatra: "It Was A Very Good Year". Ich rufe einen meiner main men, Mr. George Jones, in den Zeugenstand. Mr. Jones, bitte: "It was a good year - for the roses". Okay, aber - so schränke ich ein - nicht so sehr für die Musik, die Literatur, das Kino. Im Ernst: Es gibt so viele öde, fantasielose, uninspirierte Plattenbücherfilme, dass man manchmal weinen möchte. Doch unter all dem Schutt begraben liegen doch noch Schätze, die der Entdeckung wert sind - und all des Lobs und Preises, die sie verdienen. So möge der Countdown denn beginnen:
10. Willard Grant Conspiracy - Paper Covers Stone: Glitterhouse's own um den im Wortsinn überragenden Robert Fisher haben das Kunststück geschafft, aus einem Album älterer, neu eingespielter Songs ein Meisterwerk zu machen - zauberhaft, unter die Haut gehend, strictly acoustic, zum Heulen schön.
09. Rosanne Cash - The List: Songs, her daddy taught her. Auf einer Bustour durch die Südstaaten vor vielen, vielen Jahren gab - so geht die Legende - Johnny Cash seinem Töchterchen eine Liste mit den seiner Meinung nach 100 herausragendsten amerikanischen Liedern. Zwölf davon hat Miss Rosanne jetzt aufgenommen, darunter Bob Dylans "Girl From The North Country", Merle Haggards "Silver Wings" oder Hank Snows "I'm Moving On", Jeff Tweedy, Bruce Springsteen, Elvis Costello und Rufus Wainwright liehen helfende Händchen. Ach, herrlich.
08. Bob Dylan - Together Through Life: Der Meister hat den South-of-the-border-Blues, feiert das Unterwegssein, das Leben, die Liebe und den ganzen Rest, dazu schwelgt David Hidalgos Akkordeon, die Band musiziert so tight und lakonisch wie Clint Eastwood in seinen besten Zeiten agierte. Was war das für eine Freude, als Mr. Dylan vor zwölf Jahren mit "Time Out Of Mind" reüssierte. Seither scheint er mit jedem Album noch besser zu werden. God bless.
07. The Unthanks - Here's The Tender Coming: Zwei Alben lang sorgten die Schwestern Rachel und Becky unter dem Moniker Rachel Unthank & The Winterset unter Freunden englischer Folkmusic für glänzende Augen und höherschlagende Herzen. Jetzt lassen die Ladies auch Jungs mitspielen, doch an der Magie ihrer wundervoll gesungenen und sparsamst instrumentierten Tunes hat sich nichts geändert. Hear the angels sing.
06. Steve Earle - Townes: Lieder von Townes covern dürfen nur wenige - Emmylou natürlich, auch Willie. Ein ganzes Album mit Songs des neben Dylan größten amerikanischen Songwriters ever aufnehmen darf nur einer: Mr. Steve Earle. Es ist ein Werk der Liebe geworden, randvoll mit herzergreifenden Versionen unsterblicher Songs. Und wenn nötig stelle ich mich auf den Kaffeetisch jedes x-beliebigen Zweiflers und sage ihm das ins Gesicht.
05. The Death Letters - The Death Letters: Eine der Entdeckungen des wunderbaren (und schändlich unterbesuchten) Stag-o-lee-Festivals - hat man mir gesagt. Da verpasse ich an zwei Tagen nur eine Band, und anschließend erzählen mir Whiryljoe, Knut und Chrispop unisono, sie hätten die Zukunft des Rock'n'Roll gesehen. Ich habe "nur" das Album gehört, aber - oh, boy - wenn das die Zukunft ist, muss uns nicht bange sein. Zwei holländische Youngster schreiben Son House, Hendrix und Led Zeppelin fort, als gäb's kein Morgen mehr. Yeah, yeah, yeah!
04. Peter Doherty - Grace/Wastelands: Der Mann hat nicht viele lichte Momente, aber wenn, dann sind sie gleißend. Und Songs schreiben kann er, dass nur so eine Art hat. "Grace/Wastelands" ist das Album, das - Achtung! Großes-Wort-Alarm! - Ray Davies, Morrissey und Paul Weller als Solisten nie geschafft haben. Wer "Last Of The English Roses", "I Am The Rain", "Broken Love Song" und all die anderen gehört hat und immer noch nicht begreift, dass hier ein Genius am Werk ist, muss zur Strafe zehn Mal am Stück Coldplays "Viva La Vida" hören.
03. Element Of Crime - Immer da wo du bist bin ich nie: Sven und die Seinen sind - man verzeihe das platte Wortspiel - in ihrem Element, rauher diesmal in Text und Musik, kantiger auch, mehr Velvet Underground als Chanson. Aber immer noch und immer wieder gelingen den Berlinern Songs von atemberaubender Schönheit und betörender Poesie. Der süße Sound der Großstadt.
02. Van Morrison - Astral Weeks Live At The Hollywood Bowl: Die Überraschung des Jahres. Seit fast 30 Jahren, präzise seit dem Album "Common One" hat man den Mann aus Belfast nicht mehr so singen hören wie bei der Neuaufführung seines Jahrhundertwerks "Astral Weeks" (aus meiner Sicht neben "Exile On Main Street" von den Stones, "On The Beach" von Neil Young, "Our Mother The Mountain" von Townes van Zandt und "The Band" von The Band das beste Album mit populärer (?) Musik, das je erschienen ist). Für das, was ich da höre, fehlen mir schlicht die Worte. Darum: Hören heißt verstehen.
01. Wilco - Wilco (The Album): Ein neues Meisterwerk von der - neben Radiohead - derzeit so ziemlich einzigen Rockband für denkende Menschen, wenn man mir diese snobistische Einlassung verzeihen möge. Jeff Tweedy und seine magnifizenten Begleiter, allen voran der ganz und gar fabelhafte Gitarrist Nels Cline, haben (vorerst) allen Krautrock- und Electronica-Experimenten abgeschworen und spielen amerikanische Rockmusik, die um Traditionen weiß und sie auch verstanden hat, aber doch ganz im Hier und Heute existiert. Hats off to Wilco.
Zum Abschluss noch ein paar kurze Listen:
Meine liebsten Werkschauen bzw. Kompilationen des Jahres:
1. Neil Young - The Archives Vol. 1
2. The Beatles - The Beatles Stereo Box Set (Man kehrt immer zu seiner ersten Liebe zurück, heißt es.)
3. Can You Dig It? Vol. 1 & 2 - The Music And Politics Of Black Action Films 1968 - 75 (Danke, Whirlyjoe!)
4. Graham Nash - Reflections
5. Kraftwerk - Der Katalog
Meine liebsten Bücher des Jahres:
1. Stuart O' Nan: Alle, alle lieben dich
2. David Foster Wallace: Unendlicher Spaß
3. Richard Stark (alias Donald E. Westlake): die vier in diesem Jahr erschienenen Werke mit Parker, dem so vornamen- wie skrupellosen, gewiss aber coolsten Verbrecher der US-Krimiliteratur
Meine liebsten Filme des Jahres:
1. Quentin Tarantino: Inglourious Basterds
2. Clint Eastwood: Gran Torino
3. David Fincher: Der seltsame Fall des Benjamin Button
Das Schlusswort gebührt Van the man: "It ain't why why why, it ain't why why why. It just is. That's all."
5 Kommentare:
ja peter, aus dir spricht wahre, jugendliche leidenschaft. und es ist doch ein privileg, aus den gewaltigen mengen schlechter musik nach den perlen tauchen zu können.
mit element of crime werde ich nicht mehr warm, aber vielen dank, dass du mich an den babyshamble erinnert hast. grace/wastelands habe ich in meiner liste vergessen: ganz großartige songs von wissender schönheit.
Ja, stimmt. Grace/Wastelands hab ich auch vergessen. Ebenso 'Can you dig it! - Nachtrag.
Caesar
Danke Peter Ferkel für die tolle Beschreibung zu Peter Doherty!
..."wer immer noch nicht begreift, dass hier ein Genius am Werk ist"...
Dem gibt es nix hinzuzufügen.Ob bei den Libertines den Babyshambles oder jetzt solo.Der Mann hat Songs geschrieben wofür viele Bands töten würden um nur einen einzigen Song in diesem Format zu schreiben.
It was a very good ... chronicles!
Badabing!
Hi Peter,
zwei Sachen
1. Hast du wirklich schon "Unendlicher Spaß" durchgelesen?
2. Der Benjamin Button Film war mit dem Wirbelsturm-Rahmen hat mir überhaupt nicht gefallen. Da gab's besseres.
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