Dienstag, 22. Mai 2007

Mies aufgelegt!
DJ Samir

Die besten DJs erzählen von ihren schlimmsten Nächten heißt eine Reihe von Jonathan Fischer (in der Süddeutschen?). Fischer ist ja auch als Compilant von Trikont bekannt. Ich habe jetzt mal die Story von DJ Samir aus Wien ausgewählt, der ja auch für einige erstklassige Zusammenstellungen (Belivers Edition, Planters Club etc.) zuständig ist... here it goes:

Meinen übelsten DJ-Abend erlebte ich vor ein paar Wochen beim Ball der Wiener Wirtschaft: Dass der soziale Status eines Deejays bei solchen Gesellschaftsereignissen sehr weit unten rangiert – darüber machte ich mir als alteingesessener Wiener keine Illusionen. Schließlich kommen die feinen Damen und Herren der Stadt hier in Frack und Abendgarderobe zusammen, um sich in erster Linie gegenseitig respektive selbst zu bewundern. Der Rest ist Dienstleistung.
Dennoch hatte ich mir um mein Engagement in der VIP-Zone einige Gedanken gemacht, und die Soulpretiosen in meinem DJ-Koffer gegen Swing-Standards aus den 30er und 40er Jahren ausgetauscht. Pünktlich um sechs Uhr abends stand ich hinter den Plattenspielern. Dann hieß es: Die Herrschaften wollen noch keine Musik. Viereinhalb Stunden lang.

Ich vertrieb mir die Wartezeit mit Gimlets und war beim Anlaufen der ersten Platte bereits hochprozentig aufgelockert. In einem Zustand eben, in dem das Unbewusste zu Sprechen beginnt. Kaum hatte ich ein paar einschlägige Gassenhauer - „Der Neger hat sein Kind gebissen“ vom Odeon Orchester, Richard Taubers „Ich küsse Ihre Hand Madame“ oder Willi Hoses „Ausgerechnet Bananen“ – auf die Ballgäste losgelassen, eilte schon eine etwas betagte Dame ans DJ-Pult und herrschte mich in militärischem Ton an: „Drehen Sie leiser!“. Geduldig versuchte ich ihr zu erklären, dass ich nicht nur einen Tisch vor der Box beschallen sollte, sondern die ganze Tanzfläche. Vergebens: „Sofort leiser drehen!“ Ich raunzte ihr etwas von wegen „renovierungsbedürftige Schabracke“ entgegen. Und wurde prompt mit einem als Verstärkung hinzugezogenen SPÖ-Gemeindeparlamentarier konfrontiert: „Wie heißen Sie?“, fuhr er mich in klassischer Streitkultur an. Das war wohl nicht der Popbeauftragte. „Arsch hoch vier“, konterte ich in Unkenntnis der örtlichen Hierarchien – und freute mich, als er mit hochrotem Kopf wieder abzog.

Tatsächlich hatte ich den diversen Schimpf-Duellen zum Trotz den Tanzflur gerade in Schwung bekommen: Dutzende von Pärchen drehten sich zu Marika Röcks Schlager „In der Nacht ist ein Mensch nicht gerne allein“. Zarte Hoffnung keimte auf: Das könnte doch noch ein gelungener Abend werden! Auch zwei sehr breitschultrige Herren mit Kurzhaarschnitt schritten zielstrebig auf das DJ-Pult zu. Aber keine Frage: Die kamen nicht zum Tanzen. „Ist besser, Sie packen Ihr Zeug“, erklärte der erste. „Sie haben schon genug Blödsinn angestellt“, sekundierte sein Kompagnon. Der Plattenkoffer war sofort gepackt. Ohne mich noch einmal umzudrehen, schlich ich mich raus. Atmete tief durch: Und dachte nicht einen Moment an die verlorene Gage. Welches Geld kommt schon gegen zwei Dutzend erstklassige Gimlets an? Und dann erst die entzückende Aussicht, nie wieder als Dienstleister auf einen Ball zu müssen...

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Oh Mann, dass tut ja schon beim durchlesen weh. Sehr schön ist übrigens auch die Episode DJ Mooner: Horrorfilm in einer geilen Clubnacht in Rumänien.

Anonym hat gesagt…

Meinen schwärzesten DJ-Abend erlebte ich vor zehn Jahren in Los Angeles: Der Rare-Groove-Boom war mit einiger Verspätung aus Europa und New York auch an die amerikanische Westküste geschwappt. In meinem eigenen Club legte ich regelmäßig für die örtliche College-Szene auf: weiße Hipster, die die afroamerikanischen Moden der 70er Jahre als Lebenshaltung adoptiert hatten. 1996 lud mich ein Promoter zu einem Gastspiel in den piekfeinen Beverly Club in Beverly Hills ein. Ich fühlte mich mehr als geehrt. Nicht nur, weil dem Beverly Club der Ruf vorauseilte, unter anderem Denzel Washington, Lawrence Fishburne und Will Smith zu seinen Stammgästen zu zählen. Sondern weil ich hier endlich einmal vor schwarzem Publikum auflegen würde. Menschen, aus deren Mitte einst meine musikalischen Helden wie Curtis Mayfield, Leroy Hutson und Marvin Gaye gekommen waren. Klar, dass ich meine 70er Jahre Funk- und Soul-Scheiben für diesen Abend mit ganz besonderer Andacht sortierte. Eine Feuertaufe, so dachte ich: Der Soul-Faktor meiner Plattensammlung würde alle überzeugen, und sie über meine Hautfarbe hinwegsehen lassen.Doch erst beim Betreten des Clubs wurde mir klar, wie sehr ich hier aus dem Rahmen fiel. Abgesehen davon, dass ich der einzige Weiße war, wirkte ich mit Ziegenbärtchen, Bell-Bottom-Jeans und abgewetzten Sneakers wie ein verirrter Acid Jazz-Freak auf einer Hollywood-Party. Im Beverly trugen die Männer alle Anzug, die Frauen hatten sich in die neuesten Kreationen von Gucci und Versace gehüllt.

Der Laden füllte sich zusehends. Nur auf der Tanzfläche gähnte ein schwarzes Loch. Als ob sie mit Tretminen ausgelegt wäre – und alle das wüssten, außer dem DJ. Ich arbeitete mich von den exotischsten Rare Grooves a la Alvin Cash, The Gaturs und Wet Willie zu Otis Redding und Marvin Gaye vor. Doch keine Wirkung. Außer einem leeren Quadrat vor dem DJ-Pult. So war es um zehn Uhr. Um elf Uhr. Und auch um Mitternacht. Die Leute standen jetzt dicht gedrängt. Beäugten mich misstrauisch. Eine junge Frau in atemberaubenden Abendkleid beugte sich über das DJ-Pult: Ich wäre gerade im Begriff ihre Party zu ihrem 21. Geburtstag zu verderben. Ob ich jetzt endlich einmal Funk spielen könnte. Es lief gerade „The Boss“ von James Brown. Funk? War das, was ich auflegte, etwa kein Funk? Sie zählte etwas entnervt ihre Lieblingstitel von Boyz II Men, Babyface und Bobby Brown auf – und ich musste passen. Habe ich nicht. Tut mir leid. Passt nicht in mein Set.

Wenn ich gedacht hatte, die Party noch mal mit Disco-Klassikern wie Rose Royces „Car Wash“ oder „Dancing Machine“ von den Jackson 5 herumzureißen, hatte ich mich gründlich geirrt. Die Schönheit im Abendkleid jedenfalls schickte ihre Freunde, um mir Druck zu machen. Langsam kam ich ins Schwitzen. Immer mehr Leute beschwerten sich. Von der Bar drangen Wortfetzen wie „warum legt so ein Idiot auf“ und „keine vernünftige Musik im Laden“ herüber. Einige Gäste fauchten es mir sogar geradewegs ins Gesicht: „Go home, white boy“. Warum griff niemand der Verantwortlichen ein? Ziemlich mutlos verließ ich das DJ-Pult und bat den Manager, mir doch eine Ablösung zu besorgen - dann wäre der Abend womöglich noch zu retten. Doch der klopfte mir nur auf die Schulter: „Mach weiter so. Wir haben zwei Gäste im Club, denen deine Musik gut gefällt“.

Als ich um zwei Uhr nachts meinen ersten DJ-Abend ohne eine einzige Bewegung auf der Tanzfläche beendete, führte mich der Manager in eine dunkle Ecke des Clubs zu zwei Herren mit Sonnenbrillen: Quincy Jones und Stevie Wonder. Quincy rückte mir einen Stuhl zurecht und reichte mir ein Glas Champagner: „Man muss die Leute eben erziehen – nur nicht nachlassen!“ Worauf Stevie in sein unverwechselbares Stevie-Wonder-Lachen ausbrach. Er ergriff meine Hand: „Danke für den Abend.“ Und: „Willst Du mich nicht morgen in den Gottesdienst begleiten?“ Mir fehlten vor Aufregung die Worte. Gerade noch in der DJ-Hölle. Und nun im Soul-Himmel. So musste sich ein Penner fühlen, der versucht, seine letzte Münze aus dem Gulli zu fischen und dabei auf ein Bündel Hundert-Dollar-Scheine stößt. Halleluja.

Anonym hat gesagt…

Wäre ein link nicht einfacher gewesen?
http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/liste/3/15/l/2957/

Beste Grüße

Tick, Trick und Track hat gesagt…

Hey K-nut, alten schlauen fuchs du. einfacher vielleicht, aber unsexier... ich fand die stroies auch nicht alle so höllisch. den dj pari hatte ich zB garnicht gelesen, den werde ich morgend nochmal vorne platzieren. das klingt so gut, als wäre es erfunden. -r-man

Anonym hat gesagt…

Hey R-Man, Du warst doch gar nicht gemeint! (...ich meinte eigentlich den 'DJ Pari'-Beitrag)

Ich freu' mich auf Freitag!

Beste Grüße