Samstag, 22. November 2008

Musikwünsche
Da das Thema Musikwünsche und DJ-ing neulich in den Comments mal erwähnt wurde, habe ich noch einmal einen alten Text ausgegraben. Das ist eine Leseprobe aus dem wundervoll-empfehlenswerten Buch Plus Minus Acht von Hans Nieswandt. Sein Zweitwerk Disko Ramallah ist ebenso gut und auch Nicht-DJs zu empfehlen. Abgetippt, damit man als DJ besser auf seine Kundschaft eingestellt ist.
Here it goes:
Es gibt verschiedene Phänotypen des Musikwünschenden. Mindestens einer von ihnen meldet sich in jeder Nacht.Da wäre zunächst der Typus des banalen Ignoranten. Er ignoriert einfach den Fakt, dass jeder DJ ein gewisses Programm verfolgt und ein Rahmen existiert, und wünscht sich einfach, was ihm privat gefällt, sagen wir: Die Toten Hosen oder Jimi Hendrix. Ser oft fordert dieser Mensch es generalistisch „härter“, „schneller“ oder „Techno“. Oder er wünscht sich „weiß auch nicht, ganz andere Musik“ oder „normale Hits“. Er nimmt überhaupt nicht wahr, dass da eine vielleicht volle, geschäftige oder sogar hysterische Tanzfläche ist und alle ausser ihm mit der Musik sehr zufrieden sind. Diese Jungs und Mädchen sind zum Glück häufig recht nett und trollen sich oft schon nach einem freundlichen „Nö“.
Unangenehmer sind die Kandidaten, die sich bereits mehrere Alternativen zurechtgelegt haben oder an Ort und Stelle anfangen, darüber nachzudenken. Für den Fall, dass man die erste Wahl nicht hat:„Kannst du mal `Lalala-lalalala-Laaa´ von Kylie Minogue spielen?“„Meinst Du `Cant Get You Out Of My Head´?”
“Jaja, genau.”
“Hab ich doch schon gespielt.”
„Ist doch egal.“
„Na hör mal, nichts ist egal.“
Stirnrunzeln, Grübeln. Der DJ klemmt sich schnell den Köpfhörer zwischen Schulter und Ohr.
„Dann Armand Van Helden.“
„Ja welches denn?“
„You Don’t Know Me.“
„Das ist doch alt.“
„Na und?“
„Ich habe das seit zwei Jahren nicht mehr dabei.“
„Echt? Was bist du denn für ein DJ?“
Kritisches Kopfschütteln. Tiefes Grübeln.
„Hast Du denn dann wenigstens `Lady´ von Modjo?“
Worum es in Wirklichkeit geht: mit irgendwas durchzukommen. Gestaltungsmöglichkeit. Einflussnahme. Manche Menschen haben keine gute Ausgehnacht, wenn sie nicht mindestens ein Lied pro Disco selbst bestimmt haben. Vielleicht ist das eine Form der Selbstvergewisserung. Dadurch fühlen sie sich ins Nachtleben integriert. Das halten diese Leute im Eintrittspreis mit inbegriffen.
Eine konsequente Steigerung dieses Verhaltens bedeutet der Wunsch, „mal die Kiste durchzusehen“. Manche fragen auch gar nicht erst, sondern fangen schon mal damit an, während man ihnen den Rücken zudreht. Ertappt man sie dabei, werden sogleich schlüpfrige Vorschläge gemacht und zur Krönung das Angebot, selbst ein paar Scheiben aufzulegen:„Ich bin nämlich auch DJ.“ Aber `meine Kiste´ gehört eindeutig zu meinem Intimbereich. Sie `mal durchsehen´ zu dürfen ist eine äußerst unsittliche Bitte.
Als Nächstes wäre da der klassische Besserwisser und Geschmackshuber. Er wünscht nur feinste Spezialitäten und will entweder wissen, ob du sie vorweisen kannst, oder sich im Gefühl aalen, dass das unmöglich ist: der illegale Bootleg von Madonna. Obskure 2-Step-White-Label aus Stoke-On-Trent, die man dort privat geschenkt bekommen hat. Oder den nie erschienenen Neil–Young-Remix, den Roger Sanchez neulich in New York als Dub Plate gespielt hat. Diese Kandidaten wünschen sich im Prinzip keine Musik, sondern Respekt. Man soll denken: Wow, was ist das denn für eine coole Person, die sich solche abgedrehten Platten wünscht? Respekt! Davon habe ja noch nicht mal ich was gehört!Es versteht sich, dass es sich dabei fast immer um Jungs handelt.
Dann gibt es jene, die sich die Platte wünschen, die gerade läuft (hatte ich auch schon – R-man):
„Spielst du mal `From: Disco To: Disco´?”
“Aber das mache ich doch gerade.”
„Oh. Echt? Stiiimmt. Naja.“
Moment, vielleicht ist das gar kein Wunsch. Vielleicht geht es um etwas ganz anderes. Wünsche können auch ein Vorwand sein, um mit dem DJ privat ins Gespräch zu kommen oder ihn anzubaggern.
„Kann ich mir trotzdem noch was anderes wünschen?“
„Du kannst es ja probieren.“
„Na gut: Ich wünsche mir ein Kind von dir.“
Ob das ein charmanter Scherz oder gefährlicher Ernst ist, kann der DJ jetzt unmöglich beurteilen und blockt. Er muss plötzlich dringend Bässe killen. Als er sie irgendwann wieder zurückbringt, ist die irritierende Erscheinung verschwunden.
Entsetzlich die enttäuschten Augen, wenn man mitteilen muss, Stevie Wonders `Happy Birthday´ leider nicht dabeizuhaben.Verständnislose Blicke, dass man dem Geburtstagskind auch nicht mit `My Way´ von Frank Sinatra oder `Somewhere Over The Rainbow´ von Marusha eine Freude machen kann.
„Du hast ja gar nichts.“

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Großartig!! :-)
Ich glaube, das Buch muss ich mir zulegen.