Donnerstag, 16. Juli 2009

Mexican Soul: Calexico 14.7. 2009 Karlsruhe K-Nut meinte gerade, er hätte Calexico noch nie live gesehen – was für ein dramatischer Fehler. Ich hatte gestern mal wieder das Glück, Joey Burns und seine vielköpfige Band beim Zeltival in Karlsruhe erleben zu dürfen – wie schon vor exakt zwei Jahren an gleicher Stelle ein ganz großes Konzerterlebnis. Da platzt das Bierzelt mit bestimmt 1000 Gästen fast aus allen Nähten, trotzdem ist es ein erstaunlich intimes Konzerterlebnis geworden. Denn die Band spielt keinen Stadionrock, sondern einfach genau so, wie wenn sie zuhause in Tucson, Arizona im familiären Rahmen in einer kleinen Bar auftreten würde. Sehr gut war schon mal der Opener Depedro, eigentlich auch Calexico mit dem spanischen Gitarristen Jairo Zavala im Zentrum. Und der Calexico-Sound ist live einfach noch schöner als auf den ohnehin herausragenden Alben. Das letzte Werk „Carried To Dust“ gefällt mir mittlerweile ja tatsächlich am besten. Davon hören wir dann auch alle Hits, besonders mitreißend fallen wie erwartet die TexMex-Mariachi-Nummern mit geballter Trompeten-Power aus – Mexican Soul Music ist das, nichts anderes. Übrigens auch wieder dabei: der gute Chris Cacavas (Green On Red), „born and raised in Tucson“, aber schon seit vielen Jahren Wahl-Karlsruher. Calexico spielten gutgelaunt alle Hits, dazu das unschlagbare Love-Cover „Alone Again Or“ – quasi der Blueprint für den typischen Calexico-Sound. Für mich immer wieder besonders beeindruckend: Mr. Joey Burns – der Typ hat sich vom eher unauffälligen Giant Sand-Bassisten zu einem der besten weißen Sänger überhaupt entwickelt. Diese Stimme ist einfach großartig, dazu ist er ein ebenso souveräner wie entspannter Performer geworden. Und diese Trompeten zur Pedal Steel, herrlich. Convertino ist auch einfach ein toller Drummer. So dezent und laidback, aber was er mit klassischer Jazzer-Haltung aus seiner Snare macht, ist bewundernswert. Während des Konzertes träumte ich dann so vor mich hin, dass Calexico doch eigentlich die absolut perfekte Band fürs nächste Orange Blossom Special wären. Gute Kontakte zum Label gibt es doch auch, da wird man sich doch vielleicht einigen können? Ich träume jedenfalls mal weiter. Nach dem Konzert wurde dann das Stuttgarter Street-Team (danke euch!) aktiv und ließ keinen badischen Besucher ohne Flyer für den Stag-O-Lee Shakedown entkommen. Wir sehen uns im Yacht Club. Alone Again Or (Whirlyjoe)

14 Kommentare:

chrispop hat gesagt…

dann oute ich mich mal: warum hab ich diese band bisher eigentlich so ignoriert? wo ich love, buffalo springfield et al doch sehr gern mag...komm ich jetzt ins rolling stone / mojo-alter??? brauch ich einfach mla wieder was lautes? und vor allem: klingen di auf tonträger auch so, oder ist das produktionstechnisch weichgespülter?

verwirrt,
chrispop

gereon hat gesagt…

"Mr. Joey Burns hat sich vom eher unauffälligen Giant Sand-Bassisten zu einem der besten weißen Sänger überhaupt entwickelt"???
Irre.

Ich sehe es komplett anders und ärgere mich immer wieder über die zweite-Hand-Gefühle, die Calexico (abgesehen davon, dass er eben nicht singen kann) erzeugen wollen mit ihrer Formel.

Dass ausgerechnet der Hauptsongschreiber und Sänger der großen GIANT SAND von seinen beiden (als Sidemen ja auch sehr guten) Mitstreitern, die ebendas nun überhaupt nicht können, nämlich Songs schreiben und singen, so deklassiert wurde, ist für mich immer noch eine der größten Ungerechtigkeiten der letzten 20 Jahre Musik.

Bei Calexico ist alles Schein, alles nachempfunden, alles geklaut. Bei Howe ist alles originär, einzig und wahr.
So scheint es mir. Tja.

(Convertino ist natürlich ein toller Drummer)

busch-Man hat gesagt…

Calexico sind absolut großartig. Two silver trees. Nicht mehr und nicht weniger.

busch-Man hat gesagt…

Wahnsinn. Die spielen auch beim Big Chill! Tim Sweeney, Keb Darge, Todd Terje, Quantic, Calexico, Fink, Norman Jay, Pharoah Sanders und und und.

Ein Traum - irgendwann muss ich da Mal hin ...

k-nut hat gesagt…

..."einen der besten weißen Sänger" höre ich da zwar auch nicht, kann Calexico aber durchaus toll finden ohne das Wirken von Giant Sand/H.Gelb abzuwerten. Der größere Erfolg von Calexico liegt wahrscheinlich in der Tatsache begründet, dass sie eine recht gleichmäßige(förmige?) Qualität abliefern (v. Garden Ruin mal abgesehen), wogegen das ungehörte Kaufen v. H.Gelb/GS-Alben zeitweise schon echten Mut erforderte...

Whirlyjoe hat gesagt…

lieber gereon,

ich freue mich über jede abweichende meinung. deine abneigung gegen calexico scheint mir aber schon etwas irrational zu sein - wo die band doch insgesamt sooo konsensfähig ist. falls es dich tröstet: ich bin ja auch mit giant sand aufgewachsen und habe sie oft genug live gesehen. howie ist tatsächlich auch ein guter sänger, seine platten und konzerte sind aber einfach zu wenig fokussiert. zuletzt fand ich das meistens nur noch anstrengend. die entwicklung seiner karriere empfinde ich aber weniger als ungerecht denn als tragisch selbstverschuldet. wobei er vermutlich auch nie ein großer rockstar werden wollte und so gesehn wohl alles richtig gemacht hat.

calexico fand ich lange auch eher unerheblich, bin aber inzwischen restlos überzeugt - live wie auf platte. natürlich ist der sound oft kitschig, aber wenn man auf desert rock, morricone und mariachi-klänge steht (früher konnte ich das gar nicht leiden), ist es einfach das nonplusultra. die jungs schreiben mittlerweile grandiose songs. beim konzert reiht sich hit an hit, und joey burns' gesang ist vielleicht wirklich geschmacksache. aber live haut mich das jedes mal wieder um. der typ trifft bei mir genau den richtigen ton, so kristallklar und irgendwie immer superlocker.

"soul" ist das natürlich nicht im eng gefassten sinn, aber bei sowas bin ich nun mal kein dogmatiker. wenn es von herzen kommt, echt und wahr und tief verwurzelt klingt, nenne ich das gerne soul.

falls du die chance hast: schau dir die band mal (wieder?) live an. vielleicht ja mal im grünen weg....

chrispop: du willst erwachsen werden? das würde mich ja schon interessieren, was du von calexico hältst. die band hat so einen herrlich süsslichen flow, ich weiss nicht, ob du das weichgespült findest. bei den alben finde ich generell die neuen besser als die alten, das gibt sich aber nicht viel. als keipen-dj spiele ich das zeug mittlerweile übrigens rauf und runter.

busch-Man hat gesagt…

Bis auf die Tatsache, dass ich 'The Black Light' und 'Hot Rail' für die beiden besten Platten halte, bin ich mit allem d'accord, Joe. Die letzten drei Alben waren allerdings auch sehr gut ...

k-nut hat gesagt…

...mit "Garden Ruin" bin ich trotz aller Liebe zur Band noch immer nicht warmgeworden. Da muss ich wohl nochmal bei...

k-nut hat gesagt…

...by the way: Ich bin ja sonst kein großer Freund von Konzert-DVDs aber "World Drifts In: Live At The Barbican" ist 'ne echte Empfehlung! (mit Francoiz Breut - hach!)

Whirlyjoe hat gesagt…

yup busch-man, gestern habe ich dann noch mal "the black light" gehört - süperb. hit auf hit: gypsy's curse, minas de cobre, stray, frontera.....

gereon hat gesagt…

Natürlich habe ich da mutwillig 2 Ebenen miteinander vertauscht: das Schicksal Howes als unterbewerteter Sonderling, der mehr verdient hätte (eben WEGEN seiner Unberechenbarkeit, für mich eine wesentliche Bedingung spannend zu bleiben) und meine gleichzeitige Abneigung gegen alles theater-, tomwaitshafte, nachgestellte Klabautere der besten vorhandenen Welten, wie es Calexico tun.

Mariachi Bläser? Ja geil. Morricone? Immer. Nancy & Lee-Balladen? Her damit.

Aber warum soll ich mir das von Calexico in nachgebauten Versionen anhören? Wo man in jeder Sekunde das Bemühen ums Abgreifen ebenjener Großgefühle, die nun mal so Kaliber bei JEDEM erzeugen, spürt?

In dem Zusammenhang war die "Gardens Ruin" noch die beste Platte, weil sie eben da das nicht versucht haben und plötzlich in Ansätzen eine Sprache entwickelten, die EIGEN und gewissermassen NEU war

Dass Calexico in Kneipen auf beste funktioniert, ist klar: der kleinste gemeinsame Nenner. Howe hört man sich eher zuhause an.

Calexicos Entwicklung live habe ich nicht mehr verfolgt, ich fand sie schon vor Jahren bruchlos, tight, geschickt, perfekt.

Alles Attribute, die ich bei Steely Dan gelten lasse, aber die kokettieren auch nicht damit, staubig, verschwtzt, lost oder ähnliches zu sein.
Oder?

Grüße!

k-nut hat gesagt…

Calexico eine gewisse Gefallsucht vorzuwerfen finde ich durchaus legitim. Und ob man Konsensfähigkeit als schlagendes Argument anführen kann bleibt auch Geschmackssache.

...aber dass die Herren Burns und Convertino im wahren Leben keine Pistolen-Duelle austragen und nicht im Zelt in der Wüste Leben mache ich ihnen eben auch nicht zum Vorwurf. Das Gesamtkunstwerk als solches zählt! Und das ist eben stimmig und qualitativ schon sehr sehr gut.
"Garden Ruin" hab' ich mir dann gestern noch mal angehört. Natürlich brechen sie da erstmalig aus ihrem Schema aus, aber mir fehlt eben einfach ALLES, was ich an Calexico sonst mag...

Whirlyjoe hat gesagt…

puh, da haben wir ja mal eine ausgewachsene - und erfreulich differenziert geführte debatte.

damit das jetzt nicht endlos geht, nur noch diese anmerkung: heute kommen calexico live absolut unprätentiös rüber. das hat nichts mit theaterhafter tom waits- oder gar u2/radiohead (meintest du das mit grossgefühlen? brrrr....) inszenierung zu tun. auffallend dagegen: die absolut lässige, bestens gelaunte spielfreude, auch die unverkrampfte auseinandersetzung mit dem ebenso motivierten publikum. und dieses image-gesteuerte wüstenrock-ding ist auf der bühne auch nicht erkennbar, keine cowboyhüte oder sombreros. sondern eben mexican-american soul. oder pop. ohne inszenierung.

wenn ich übrigens - wo auch immer - morricone-anklänge höre, freue ich mich eigentlich immer. das kann gar nicht so schlecht gemacht sein, dass es wirklich schadet. gerade weil morricone so unantastbar gross ist.

alles weitere klären wir mal bei einem kühlen bier, oder? k-nut darf wegen seiner vermittelnden haltung mittrinken. busch-man ist auch immer willkommen.

Anonym hat gesagt…

Hi there,
endlich mal wieder eine schöne Debatte. Ich durfte Calexico das erste Mal 1996 als Joey Burns & John Convertino (Spoke) im Vorprogramm von Lambchop & Vic Chesnutt im Bürgerhaus Köln-Kalk bewundern, die absolute Überraschung, 2 Jahre später vor ca. 80-100 Leuten im MTC auch in Köln (mehr Leute passten einfach nicht rein). Es gab sogar ein kleines acoustic set (mit deutschen Texten!) vor dem Club auf der engen Zülpicher Str. als entrée! Was mir im Gegensatz zum verschrobenen Howe-Gelb-Solo-Künstlertum immer angenehm (ergänzend zu den wunderbaren Giand Sand) auffiel, waren die endlich Mal durchkomponierten Songs, dazu kommen sie sehr sympathisch rüber. Da ist/ bleibt man gerne Fan.
Zu den großen ausverkauften Konzerten bin ich nicht mehr hingegangen. Bis auf vorletzte Woche: in der Berliner Zitadelle Spandau gab es ein open air package mit Lucinda Williams & wiederum Lambchop. Letztere waren phatastisch, da Kurt Wagner diesmal auch den Bandleader-Entertainer (rauchend im Sitzen mit wedelnden Armwn) gab und aus dem Vollen schöpfen konnte (z.B. mit Sister's of Mercy's This Corrosion). Die Band war - wie immer - vorzüglich, sodass Calexico als Headliner doch ein wenig abfielen. Aber Crystal Frontier in der extended version macht noch immer Spass. Ein wunderbarer Abend.
An-Dréad