Sonntag, 8. April 2012


Ein zweites Osterei...
Spoonful - Vol. 58
Hard Row To Hoe

Popcorn ist ein Musikstil, der seit einigen Jahren vermehrt auf Flyern, Postern und vor allem in eBay-Artikelbeschreibungen auftaucht. Dabei sind die Grenzen zu Altbekanntem fließend, und viele Stücke die einem bisher von Rockabilly Record Hops oder Northern Soul Allnightern her geläufig waren, bekommen auf einmal ein neues Etikett (und oft auch Preisschild) ans Revers geheftet. Aber was haben wir uns konkret in dieser exotischen Schublade vorzustellen?

Der Begriff Popcorn oder Popcorn Oldies kommt ursprünglich aus Belgien und die Musik bewegt sich vereinfacht gesagt tempo- und stimmungsmässig irgendwo zwischen den musikalischen Eckpfeilern von Little Willie Johns Fever, Ray Charles' Hit The Road, Jack, Tennessee Ernie Fords Sixteen Tons und Dions Wanderer. „Aha, es geht um den Stroll“ denkt sich jetzt der tanzbegabte Rock'n'Roller, und ja, es geht ursprünglich tatsächlich um einen bestimmten Tanz, aber nein, es ist nicht der Stroll, bei dem Rockabellas und Hepkittens im Formationsflug mehr oder weniger anmutig über die Tanzfläche rauschen. Vielmehr ist der „Popcorn“ als Paartanz eine Mischung aus Disco-Fox und Slow Jive, geschwindigkeitsmässig eher im niederen Bereich verortet und wurde in diesem Rahmen, Musikarchäologen haben es herausgefunden, zum ersten mal 1968 in der Diskothek „The Groove“ im belgischen Ostende aufs Parkett gelegt  - Insider nannten den Tanz „Soul Swing“. Ein gewisser Freddy Cousaert stand hinter den Decks und orientierte sich zunächst an frühen Motown-Stücken und Rhythm'n'Blues an der Schnittstelle zum Soul (was man heute ja auch gerne „New Breed“ nennt). Kurze Zeit später startete die örtliche Tanzbude des Dörfchens Vrasene bei Antwerpen ihren „Soul-Afternoon“, der nur Sonntagnachmittags stattfand! Bald platzten die Tanzflächen hier und bei ähnlichen in ganz Belgien aus dem Boden schießenden Veranstaltungen aus allen Nähten, in Vrasene musste ein Anbau her, der 1970 unter dem Namen „The Popcorn“ eröffnete, und da schau her, plötzlich hatte das Kind einen Namen.

Das Augenmerk der DJs war darauf ausgerichtet, die Tänzer mit seltenen Platten, raren Schätzen und unwiderstehlichen Sounds auf die Tanzflächen zu lotsen. Ein bestimmter Rhythmus und das mittlere Tempo waren das Credo, unter dem die guten DJ's Zeugenaussagen zufolge eine einzigartige Stimmung schaffen konnten. Dabei wurden Tunes auch gerne drastisch runtergepitcht, so lief das 1:56 Min. lange Chills & Fever von Allen Wayne gerne auch mal 3 Minuten! Interessanterweise ist die Tatsache, dass hier ein Musikstil nicht von den Interpreten, sondern den DJs definiert wurde, nicht die einzige Parallele zum gleichzeitig in Großbritannien durchstartenden Northern Soul. Auch die Jagdgründe für begehrte Singles waren die selben, und es gab tatsächlich einen regen Austausch zwischen englischen und belgischen Jägern und Sammlern. Was den Briten zu langsam war, wanderte oftmals nach Belgien und umgekehrt.

Aber der Belgier experimentiert gerne. Da taucht er mal erfolgreich Kartoffelstängchen in heisses Fett, aber wo die Fritten bei uns rot/-weiß kommen, hat er mehr als 30 Saucen am Start. Und an sich gutes Bier versetzt er gerne mal mit dem einen oder anderen Obst. Und so verhielt es sich auch mit dem Popcorn-Sound. Je länger zusätzliche Köche am Brei mitmischten, umso mehr verdarben sie die ursprüngliche Rezeptur. Plötzlich experimentierte man mit Latin, mischte munter Ska-Tunes von Prince Buster und den Skatalites unter und baute schließlich sogar weiße Tränenzieher von Paul Anka, Neil Sedaka und ähnlichen Konsorten ohne Rücksicht auf Verluste ein. Schwülstige Streicher und dramatische Chöre störten kein bisschen, Hauptsache der Rhythmus stimmte. Im Laufe der Jahre wurde der Sound immer weiter verwässert, italienischer und französischer Pop, James Last-mässiger Partysound und noch schlimmere musikalische Verbrechen wurden nun unter dem Namen Popcorn Oldies auf den Plattenteller gelegt und scheinbar schien das niemanden zu stören. Es hätte reichlich Möglichkeiten für einen Aufstand à la "Keep our Popcorn clean!" gegeben - man hat sie alle verpasst. Vor einer aktuell stattfindenden Popcorn Oldies Party in Belgien (da gibt es reichlich) hätte ich echt Angst. Schon alleine die Flyer sind so dermassen neben der Geschmacksspur, dass es schon wieder eine eigene Kunstform ist...

Auf der Suche nach dem Ur-Rezept bin ich tatsächlich über jede Menge Scheußlichkeiten gestolpert (Little Peggy March, Vico Torriani, Sabrina, Pat Boone und reichlich mehr unerträglicher Schleim) und hoffe, die Tunes zwischen Spät-R&B und Früh-Soul (mit einigen Genre-typischen Ausreissern zur besseren Darstellung) freigelegt zu haben, die Ende der 60er/Anfang der 70er tatsächlich im Groove und Popcorn gedropt wurden. Zum guten Schluß läuft allerdings Persian King von Nino Rienzi, eins dieser Spät-Popcorn-Tunes im dramatisch-exotischen James-Last-Partysound, ein Hit auch unter ernstzunehmenden Popcorn-DJs ... so daneben, dass es schon wieder gut ist. Davor gibt es 31 Sides (total 79:57 Minuten) der absoluten Extraklasse und zusammen mit Spoonful #26 - Chills & Fever (der ersten Popcorn Comp) gehört diese CD zu meinen Spoonful-Favoriten. I love this sound! Heavy rotation!  (Prince R-man)

hier

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

ich kann es kaum erwarten ...
spoonful no 26 ist eine echte
Inselplatte ! cu axel