Da war ich
dann doch gespannt, wie Mister Sherwood heute so klingt.
Seine Karriere ist ja
schon eigentümlich: in den 80ern schuf er mit On-U Sound als Producer und
Label-Betreiber einen ganz eigenen britischen Dub-Kosmos, dann wurde es
deutlich ruhiger (Produktionspause dank Schuldenchaos), bevor er seit 2003
plötzlich eigene Alben veröffentlicht.
Dies ist jetzt sein dritter Longplayer,
veröffentlicht auf On-U Sound, und er klingt kaum mehr nach Reggae. Sherwoods
ganz eigener Dub Style ist eher kontemplativer Art. Der mächtige Bass rührt
zwar immer unter der Oberfläche, die Beats sind aber abstrakter, entspannter,
sophisticated. Die meisten Tracks bieten sehr relaxte Soundcapes. Mit moody
Klangflächen und klaren, organischen und poiniert-minimalistischen Piano-,
Harmonica-, Cello-, Glockenspiel- oder Akustikgitarrenlinien mit Blues- und
sogarein wenig Jazz/Bossa-Flavour.
Authentische Kiffermusik ist das nicht mehr. Vielmehr wird man von diesem
reifen Dub-Vibe förmlich eingesaugt. Vieles erinnert in seiner dunklen
Schönheit an Massive Attack, aber auch der Ethno-Dub-Entwurf von Bill Laswell
kommt mir in den Sinn.
Gesungen wird selten (je einmal von Ghetto Priest und der
betörenden Lilli), einige alte Weggefährten wie Skip McDonald und Crucial Tony
sind natürlich auch dabei.
„Survival & Resistance“ ist ein altersreifes, in
sich ruhendes Werk, das ich am heißesten Tag des Jahres nun schon zum vierten
Mal hintereinander höre. Etwas anderes kommt heute jedenfalls nicht mehr auf
meine Ohren.
(Whirlyjoe)
Mittwoch, 22. August 2012
Johnny Otis - That's Your Last Boogie!
Rundum-sorglos-Package
zum kaum zu unterschätzenden Thema Johnny Otis.
Die Triple-CD im Digipak kommt
trotz erfreulich schmalen Preises mit Booklet, Linernotes und discographischen
Angaben, und bietet letztlich alles, was man von dem erstaunlichen
Allroundtalent Otis aus den Jahren 1945 bis 1960 braucht. Und zwar in seiner
Eigenschaft als Musiker, Produzent, Bandleader und Arrangeur, der wohl wie kaum
ein anderes (griechischstämmiges!) Weißbrot die schwarze Musik Amerikas
beeinflusste – von Swing über Bigband-Jazz zu Blues, R&B und
Proto-Rock’n’Roll.
Weshalb wir hier auch viele historische Aufnahmen von so
tollen Acts wie Illinois Jacquet,Wynonie Harris, Jimmy Rushing, Little Esther,
Joe Turner oder Big Mama Thornton („Hound Dog“, yeah!) hören. Besonders gut gefällt
mir, wie Otis als Producer selbst bei eher konventionellen Blues- oder
Swing-Nummern immer wieder eine erstaunlich dreckige E-Gitarre eingebaut hat.
Die
drei randvollen CDs bieten insgesamt 83 Songs, unter denen sich reichlich
Perlen finden – wie gemacht auch für den Spoonful-Kosmos der Stag-O-Lee DJs.
Man höre nur so knackige Kracher wie Johnnys „All Nite Long“ oder „Drill Daddy
Drill“ von Dorothy Ellis.
Die Fantastic Voyage-Compilation mit dem unschlagbaren
Preis/Leistungsverhältnis bieteteinen
perfekten Einstieg in das sagenhafte Oeuvre von Johnny Otis, der leider Anfang
des Jahres verstorben ist.
(Whirlyjoe)
Samstag, 11. August 2012
Antibalas - Antibalas
Fünftes
Album der unermüdlichen Fela Kuti-Forscher aus New York auf Daptone und von
Daptone-Chef Gabriel Roth im labeleigenen Studio aufgenommen.
Das
Musiker-Kollektiv rund um die Daptones, TV On The Radio, Menahan Street Band, The
Budos Band und eben Antibalas teilt sich zwar diverse Musiker, keine andere
Band klingt aber wie die Afrobeat-Helden Antibalas.
Jetzt also nach längerer
Pause (der Vorgänger „Security“ erschien bereits 2007) endlich wieder neues
Material der elfköpfigen Truppe, und wie gehabt wird hier fast völlig nahtlos
der Sound des 1997 verstorbenen Fela Kuti fortgesetzt. Und zwar ganz ohne
irgendwelche Modernismen, Electronics oder House-Beats. Angertrieben von einer
sensationell leichtfüßigen Rhythm Section, einem mächtigen Orgel-Fundament und
fast ausschließlich rhythmisch eingesetzten Gitarren dominieren die satten
Bläser das hypnotisch-brodelnde Geschehen.
Das ergibt dann sechs neue,
treibend-tanzbare Songs zwischen sechs
und acht Minuten Länge, wobei das einzige kleine Manko von Antibalas die Tatsache
ist, dass Frontmann Amayo nicht das Charisma von Fela erreicht. Aber das wäre
zweifellos zu viel verlangt. So bleiben Antibalas aber dennoch das Maß aller Dinge
in Sachen aktuellem Afrobeat.
(Whirlyjoe)
Donnerstag, 9. August 2012
Folk im Park in Nürnberg
das zweitschönste kleine Festival der Welt
Letzten Sonntag entschlossen wir uns recht spontan, mit Wölzlein-Tours von Stuttgart aus ins Frankenland zu fahren, um nach kompaktem Sightseeing und leckerem Esssen (u.a. glutenfreies Scheufele mit Kloß) bei allerschönstem Sonnenschein am Nachmittag das idyllisch gelegene Festivalgelände im Marienpark zu erreichen.
Die Location teilt man sich mit einem improvisierten Open Air Kino, dazu kann man mit dem Auto fast bis an den Eingang fahren. Unser Franken-Guide Chris berichtete, dass Folk im Park letztes Jahr zur Premiere noch vor rund 300 Leuten stattfand, diesmal hatte man abends beinahe die 1000er Marke geknackt – ein schöner Erfolg für ein extrem liebevoll gemachtes Festival.
Die Wiese am Waldrand verströmt entspannte Freibadatmosphäre, die meisten Gäste haben sich auf bunten Picknick-Teppichen niedergelassen. Man sieht keine Security und den ganzen Abend auch keine Betrunkenen, obwohl man mit extrem leckerem Schanzenbräu (in hell und dunkel) verköstigt wird – sehr zu empfehlen!
Selbstredend trafen wir dann nicht nur diverse Leute, die auch schon beim Orange Blossom Special in Beverungen dabei waren, sondern sogar eine offizielle Glitterhouse-Delegation unter Federführung von Rembert S., dessen Aktionsradius sich lustigerweise auf den kleinen Kaffee- und Kuchen-Bereich links neben der Bühne beschränkte, wo man sein Bier auf Tischdeckchen abstellen konnte – mal was anderes als der Balkon der Glitzervilla.
Zur Musik: die Münchner Moonband verpassten wir fast komplett, die letzten beiden Songs offenbarten aber feingestrickten Kammer-Folk mit Ausstrahlung. Dan San aus Belgien konnten die gut gechillten Besucher zwar noch nicht von ihren Picknickdecken reißen, überzeugten aber mit trendgemäßem Indie-Folk in Richtung Fleet Foxes oder Bright Eyes.
Den guten Denis Jones aus Manchester konnten wir schon vor einigen Tagen in Stuttgart begutachten, sehr sehenswert, was der kauzig-bärtige Brite ganz allein auf der Bühne aus seinem elektronischen Equipment mit ausgefeilter Loop-Technik zaubert. Leider traf Jones erst mal ohne seine Technik ein, Air France hatte sein Gepäck verloren, weshalb er zunächst einen Song zur akustischen Gitarre mitten im Publikum spielte. Später am Abend hat es dann auch mit seinem Bühnenauftritt noch geklappt, was nach dem Headliner Other Lives eigentlich sogar sehr stimmungsvoll war.
Sehr gespannt war ich auf Ewert And The Two Dragons aus Estland, die sich tatsächlich als die erhofft indie-poppige und endlos melodiöse Gutelaune-Band erwiesen. Das könnte noch etwas Größeres werden, will ich meinen. Denn sie haben richtige Hits wie den hier zu bieten.
Nach dem vorläufigen Ausfall von Denis Jones durften Other Lives aus Oklahoma schon recht früh am Abend ran, und der Truppe merkte man an, dass so ein familiäres Mini-Festival schon eine willkommene Abwechslung zu Stadiontourneen mit Radiohead ist. Die ersten beiden Nummern der beständig die Instrumente wechselnden Amis waren mir dann auch prompt zu umständlich radiohead-lastig, danach wurde es aber immer besser. Der Sänger ist schon sehr charismatisch, die Dame am Cello singt eine famose zweite Stimme und die vielen Instrumente (Unmengen Keyboards, Glockenspiel, Percussion, Geige, Pump-Organ) sorgen für einen mächtigen, üppigen Breitwand-Sound, der mich aufs Angenehmste an Lieblingsbands wie Decemberists und Portugal The Man erinnerte.
Ein rundum grandioser Auftritt, den man ganz entspannt direkt vor der Bühne geniessen konnte. Das wäre doch mal eine Truppe fürs nächste OBS, Rembert?
Insgesamt war das ein ganz herrlicher Sommer-Sonntag, mit sonnigstem Wetter und keinerlei Gewittergrummeln (wie überall angedroht). Nächstes Jahr sind wir garantiert wieder dabei. Respekt und Komplimente an die Veranstalter. ...und die Brauerei.