Donnerstag, 16. November 2006
Abt.: Disco Legenden
Daniele Baldelli
& Discoteca Cosmic
Wir rekapitulieren: Daniele Baldelli war neben Mozart der Resident-DJ der Baia Degli Angeli Diskothek, die 1974 von einem reichen Italiener eröffnet wurde. Als das Baia 1978 wegen Drogen geschlossen wurde, wurde Baldelli bald darauf engagiert, um in einem neuen Club aufzulegen. Dort begann er seinen Sound zu entwickeln, der heute als Definition für ein ganzes Genre herhalten muß: Discoteca Cosmic in Lazise am Gardasee. Das Cosmic war futuristisch eingerichtet, die DJ-Kanzel sah aus wie ein Raumschiff (Orion-style), es gab keine Sitzplätze und nur Cola, Fanta und Fruchtsäfte. Keinen Alkohol. Man öffnet um 21 Uhr und mußte um 1 Uhr schon wieder schließen.
Schon im Baia Degli Angeli mixte Baldelli verschiedene Sounds zusammen: „I've been playing the same record for one year to close the night. At six o'clock in the morning, when I saw the sun shine, I've always been playing Ravel's Bolero. While this was playing for 18 minutes, I mixed in Pink Floyd, Malinké chants, effects from Jean Luc Ponty's violin … Everything I could think of. People went mad. They were full of drugs …” Und während Mozart Afrobeat und Platten mit viel Latin Percussion bevorzugte, entwickelte sich Baldelli langsam in Richtung europäischer Elektronik.
Noch im ersten Cosmic-Jahr legte Baldelli wie im Baia Disco und Funk auf, doch kurz darauf begann er, seinen Sound extremer gestalten. „Their sound? Otherworldly. Dislocated, Unreal. Cosmic. It was as if their music had a different history to the one you knew, like they’d been shopping for records on a parallel planet. Dubby funk, jazzy electronics, spacey rolling drums, nodding, warping weirdness, all pushed endlessley forward by lazy, over weight basslines. There was little sense of individual tracks; you lost any firm ground as elements shifted and merged, as you entered tunnels of EQ and phasing... It was put together like film music, as if every tiny shift in sound and feeling was accounted for. Wildly eclectic, but not sunny like Ibiza, not gothic like Belgium, in Italy the music was channeled straight from the moons of Jupiter. ... Trippy Krautrock nestled next to tranquillised Brazilian batacuda, slowed-down afrobeat slid into OMD at 33, the whole of music history jumbled into an electric soup.” (Last Night A DJ Saved My Life)
Gerne wurde mit Phaser gearbeitet, an den EQs gedreht und die Geschwindigkeit drastisch runtergedreht. Das Tempo pendelte sich bei 95-110 bpm ein, recht langsam eigentlich, aber schneller ging nicht, denn Heroin und LSD waren die Drogen der Jugend und laut Daniele Baldelli wären sie bei schnellerer Musik einfach alle umgefallen.
Baldelli begann nach dem ersten Cosmic-Jahr nun schon früh am Abend, von ihm klangtechnisch bearbeitete Elektronik-Tracks aufzulegen und eine ganz eigene Sound-Welt zu kreiren. „In Chicago’s Music Box, Visage’s Frequency 7 was played at +8 and it sounded like a techno record; at Cosmic – played at 33 – it floated, ominous and metallic, the soundtrack to a thriller. Peering at a list of artists he played at Cosmic, it looks like a musical catastrophe: the few easily recognized names include Mike Oldfield, Peter Gabriel, Tony Orlando, the Monks, XTC, Genesis Keyboard-Player Tony Banks and Plastic Bertrand. Yet, however dislocating it is to hear a song like Gabriel’s Biko on 45 – like twisted Inuit folk music – it somehow works.” (Last Night...)
Nun macht es offenbar wenig Sinn, sich die einzelnen Tracks anzuhören, denn es war die phänomenale Mixtechnik Baldellis, gepaart mit dem einzigartigen Gefühl für Musik und dem Willen, die Grenzen immer weiter zu öffnen, die scheinbar Unmögliches möglich machte. "They weren't playing records; they were creating music, which is totally different. I couldn't find the records, they didn't exist." (der italienische Top-DJ Claudio Coccoluto) Nachzuhören ist das Ganze auf im Internet kursierenden Tapes, die Baldelli selbst anfertigte und jeden Abend zu hunderten verkaufte. Diese wurden oft gebootlegt und so mancher Cosmic-Fan verdiente sich mit dem Weiterverkauf ein Zubrot für seine teuren Hobbies – wie z.B. Heroin oder dem Citroen DS, damals das Fortbewegungsmittel Nr. 1 unter der Cosmic Jugend (in Italien, das kann ich noch immer nicht fassen).
„…auf diesen Tapes hört man Musik mit einem Tempo zwischen 105 und 110 BPM, die psychedelisch und hypnotisch wirkt und bei der elektronische Beats nur eine Nebenrolle spielen. Der Sound auf diesen Mixtapes ist vielmehr ein eklektischer, bekiffter Mix aus Space-Age-Funk, afrikanischen Percussions, Dub-Disco, Samba, No-Wave und europäischem
Electro-Pop, der perfekt gemixt ineinander fließt, begleitet von akkuratem EQing und wohl platzierten Effekten. Ein Sound, der noch heute, mehr als 20 Jahre später, atemberaubend klingt." (Groove Mag)
Im Fahrwasser von Baldelli und Mozart entwickelte sich eine italienische DJ-Szene, die je nach Persönlichkeit das Thema variierte. Durch Garda See Urlauber wanderte der Afro-Cosmic Sound (wie er heute genannt wird) auch von der Schweiz und Östereich (Innsbruck) nach Süd-Deutschland (München). Dort gibt es auch heute noch Cosmic-Parties.
Bis vor ein paar Jahren war die italienische Szene völlig undokumentiert und erst ein Artikel im Seven Magazin brachte ans Licht, dass in Italien einige Sound-Alchemisten am Werke waren, die in punkto Mixtechnik und Sounds ganz weit vorne waren. In den letzten zwei Jahren hat sich um Produzenten, DJs und Musiker wie Lindstrom, Prins Thomas, Joakim, Morgan Geist, Todd Terje etc. und Labels wie Gomma oder Eskimo eine Szene gebildet, die dem Cosmic Sound mit ihren Veröffentlichungen Tribut zollen. (R-man)
PS: Einige aktuelle Cosmic-Compilations werden in den nächsten Tagen vorgestellt.
PPS: Daniele Baldelli steht noch immer hinter den Wheels Of Steel. Hier ein aktueller Augenzeugenbericht von Tim Lawrence, dem Author von Love Saves A Day.
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1 Kommentar:
vielen Dank für die Story - bin schon gespannt auf die Compilations
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