Mittwoch, 20. August 2008

Motel California Crosby, Stills, Nash & Young
Déjà Vu (1970) Schöne Idee von Whirlyjoe. Da kann ich alter Knochen (mittlerweile 51 Lenze) eine Zeitreise unternehmen und davon schwafeln, dass früher sowieso alles besser war. Denn 1970 war ein einschneidendes Jahr für mich, was meine musikalische Prägung angeht. Bis dahin hatte ich mich hauptsächlich an den US- und GB-Charts orientiert, verehrte Elvis nach seinem 68er-Comeback und sog alles, was in der Sendung Hit Line International auf Radio Bremen gespielt wurde, auf. Dann sah ich im TV einen Bericht über das Woodstock Festival von 1969 und war von den eingestreuten Songschnipseln von Jefferson Airplane, Sly and The Family Stone, Jimi Hendrix und Crosby, Stills & Nash wie elektrisiert.
Meine Vorstellungen von einem guten Song wurden quasi auf den Kopf gestellt. Obwohl die Lieder nicht im ursprünglichen Sinne catchy waren, traten sie bei mir tiefe Emotionen los. Ich hörte verwegene Melodiebögen, außergewöhnliche Instrumentierungen und Arrangements, in sich verschlungene Instrumentalpassagen und leidenschaftlichen Gesang. Und ich sah Leute, die sich einen Dreck um Konventionen im Aussehen und Auftreten kümmerten und mir damit das Gefühl von Freiheit und Rebellion gegen muffige, kleinkarierte Normen gaben. Außerdem nahmen sie ihre Kunst ernst und lebten ihre Ideale. Dieses Gesamtkonzept imponierte mir und machte mich neugierig auf mehr. Also suchte ich im Radio nach Sendungen, die diese eindringliche, leidenschaftliche Musik präsentierten. Da gab es damals tatsächlich noch Formate, bei denen ganze Alben gespielt wurden. Bei einer solchen Sendung (auch auf Radio Bremen) lernte ich dann auch Déjà Vu kennen. Gleich der Opener Carry On ließ mich mit einem glücklichen Grinsen zurück, so als hätte ich den heiligen Gral gefunden. Diese treibenden Rhythmus-Gitarren, der perfekte Harmonie-Gesang und die eingeschobenen, ständig variierten Gitarren-Licks ergaben einen eigentümlichen Sound, den ich so nicht für möglich gehalten hatte und der mich förmlich ans Radio bannte. Da ich die Sendung auf mein Tonband aufnahm, konnte ich nun die LP einem Dauer-Hörtest unterziehen und feststellen, dass sie noch einiges mehr zu bieten hatte. CSN&Y sind hier mehr als nur die Summe ihrer Teile. Die unterschiedlichen Persönlichkeiten brachten ihre Erfahrungen aus den Vorgängerbands ein (Crosby: The Byrds; Stills & Young: Buffalo Springfield; Nash: The Hollies) und trieben sich trotz etlicher Ego-Trips während der Aufnahmen gegenseitig zu Höchstleistungen an. Sie präsentierten Folk-Rock zwischen Hippie-Lässigkeit, Country-Eleganz und Psych-Rock-Virtuosität. Die Songs sind abwechslungsreich, teilweise zerbrechlich (Helpless, 4+20), leichtfüßig (Teach Your Children, Our House), verspielt (Déjà Vu), kraftvoll rockend (Almost Cut My Hair, Woodstock, Everybody I Love You) oder verschachtelt (Country Girl), spiegeln aber ein durchgängig harmonisches Lebensgefühl wider. Dabei waren nur Helpless, Woodstock und Almost Cut My Hair als wirkliche Band-Sessions entstanden. Die anderen Stücke waren Solo-Nummern mit Beteiligung des einen oder anderen Gruppen-Mitglieds. Alle Akteure befanden sich in einer kreativen Hochphase und brillierten kurz vor und nach Déjà Vu mit Meisterwerken, die zum Sammlungsaufbau geeignet sind: David Crosby – If I Could Only Remember My Name (1971) Stephen Stills – Stephen Stills (1970) Graham Nash / David Crosby - Graham Nash / David Crosby (1972) Neil Young & Crazy Horse – Everybody Knows This Is Nowhere (1969) Neil Young – After The Goldrush (1970). Dejà Vu war meine Einstiegsdroge und ein Katalysator, um in den Westcoast-Sound einzutauchen. Danach entdeckte ich dann erst Jefferson Airplane, Quicksilver Messenger Service, Grateful Dead, Spirit, Love und Moby Grape. Aber auch Jackson Browne. The Byrds, Buffalo Springfield und The Flying Burrito Brothers. Die Musik hat den Zahn der Zeit sehr gut überstanden und ist hiermit (nicht nur) den Spätergeborenen zum Kennenlernen empfohlen und kann hier als remasterte Version geordert werden.
Ach ja: ich bekam die LP dann zu Weihnachten geschenkt. Bei 5 Mark Taschengeld die Woche und einem Preis von ca. 20 Mark pro LP war es fast unerschwinglich, so was zwischendurch zu finanzieren. Früher war also doch nicht alles besser…. (Heino Walter)

19 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Mööönsch Heino,
klasse, was Du geschrieben hast. Ich wollte nach Joe´s Aufforderung auch mal einen Beitrag leisten und wollte mir entweder die CSN&Y "Deja Vue" oder die Crosby "If I could only ..." vornehmen. Aber Du hast mir vorgegriffen. So schön hätte ich es aber nicht formulieren können.
Macht nix ... es gibt noch genügend anderen Westcoastsound
Peter HtH

Anonym hat gesagt…

Danke für das Lob, Peter!

Mich würde schon sehr interessieren, welche Beziehung Du zu "If I could only remember..." hast. Aber Du hast natürlich recht: im Westcoast-Umfeld gibt es viel zu entdecken. Bin gespannt auf Deinen Bericht.

Schöne Grüße
Heino

Anonym hat gesagt…

Hallo zusammen, auch wenn mich keiner gefragt hat, bei Crosbys erster Solo-Scheibe kann ich einfach nicht die Klappe halten. Für mich ist "If I could only remember ..." zusammen mit der gleichzeitig entstandenen LP "Blows against the Empire" von Paul Kantner der hörbar gewordene und auch heute noch hörenswerte Höhepunkt der Entwicklung des Westcoast-Sounds in der San Francisco Variante. lockeres Ensemblespiel auf höchstem Niveau, erleuchtetes Songwriting, geile Instrumentalpassagen, himmlische Chöre, Tripmusik auch für nüchtern Gebliebene. Wenn man einem Nachgeborenen erläutern soll, was das Besondere an Hippie/Westcoastsound ist, dann kommt man an diesen beiden Alben nicht vorbei. Und wer sich anlässlich der Aufnahmen so alles die Klinke der Studiotür in die Hand gegeben hat: die Quersumme aus Santana, Dead, CSN&Y, Airplane, Quicksilver. They don't make them like this anymore!
f-stone

Tick, Trick und Track hat gesagt…

lieber f-stone,
kannst du das mal in richtige worte fassen? du kannst dich doch ausdrücken... gerne auch beide zusammen. die kantner scheibe kenne ichzB nicht mal... shame on me crosby ist schon seit jeher eine meiner faves. solche platten weren wahrsscheinlich nicht mehr gemaht weil es solche drogen nicht mehr gibt.
-r-man

Anonym hat gesagt…

Hallo R-Man,
Danke für die Blumen, werde mich an die Arbeit machen, Liefertermin unbestimmt - wie war doch gleich noch die Lieferadresse?
f-stone

Anonym hat gesagt…

Hallo f-stone !

Blows against the empire enthält in der Tat faszinierende außergewöhnliche Musik. Besonders das verschachtelte, geheimnisvolle, von Kantner/Slick/Crosby verfasste "A Child Is Coming" hat es mir angetan.
Kennst Du auch die ähnlich gelagerte "Baron Von Tollboth & The Chrome Nun" von Kantner/Slick/Freiberg ?

Schöne Grüße
Heino

Anonym hat gesagt…

...wenn ich Euch so höre/lese muss ich mir wohl doch noch mal ein paar Blumen in's Haar flechten und die ein oder andere LP nachkaufen, oder?

Anonym hat gesagt…

Hallo Heino W., "Tollboth" - grandiose Scheibe, "Sketches of China" war damals mein absoluter Lieblingssong. Mit Airplane/Starship/Dead und Quicksilver habe ich meiner Umgebung damals (kurz nach der Steinzeit) dermaßen in den Ohren gelegen, dass mich mein alter Kumpel Didi neulich beim ersten Wiedersehen nach 30 Jahren mit den Worten begrüßte: "Hallo Chris, na was macht die Westcoast?"
Gewisse Label bleiben an einem hängen.

Tja, und Blumen im Haar? Schön wenn man noch welches hat, um darin Blumen unter zu brigen.
f-stone

Anonym hat gesagt…

gerade von meinem ersten green man festival zurück (spiritualized, drive-by-truckers, r.thompson, pentangle...) erinnere ich mich gerne an den winter 72/73. statt in die schule ging's mal wieder nach wien (die div. plattenläden abklappern). die beute dieser "stanglfahrt" versetzt mich noch heute in verzückung... quicksilver messenger service - 1 bzw (noch besser) hot tuna's - burgers. ich brauch nur das cover der burgers beschnuppern (natürlich wird sie auch noch oft gespielt... :):):)) und der tag läuft wie ein film vor mir ab. wie heißt es so schön... " die musik die du hörst, ist der (westcoast)soundtrack deines lebens... mitte der 70-er wurde es dann ja eher mühsam für den fan. aber dafür (bis heute) umso mehr "andere" gute musik zu entdecken - siehe oben...

Tick, Trick und Track hat gesagt…

lieber anonym,

da hast du mir ja aus der seele gesprochen. die erste qms... cipollina's gitarre, so einen ton aus dem ding rauszuholen... habe dann irgendwann mal 5-8 gigs der cipollina-gravenites band gesehen, immer erste reihe. cipo hat dann meinen ganzen stoss platten signiert, sonst habe ich das nie gemacht.

und hot tuna, gerade burgers. kaukonen mit seiner knödelstimme, und das cover mit dem geilen auto und papa john creach... auf der platte fehlt eigentlich nur noch eine version von keep your lamps trimmed and burnin'.

zwei grosse scheiben. -r-man

Anonym hat gesagt…

Hallo anonym !
Es scheint ja so zu sein, dass man sich - wenn man einmal vom Westcoast-Sound infiziert ist - grundsätzlich auf die gleichen Highlights einigen kann.
Habe grade für den lieben k-nut einen "Westcoast - Songs For Beginners"-Mix zusammengestellt und dabei ist auch THE FOOL von der ersten QMS und SEA CHILD von Hot Tuna`s BURGERS. Das nennt man wohl Seelenverwandschaft.
Gruß
Heino

Anonym hat gesagt…

...i'm so excited!

Anonym hat gesagt…

good lord. da hat sich ja gleich eine echte expertenrunde gefunden. zum glück habe ich frühzeitig bekannt, wenig ahnung vom thema zu haben. vielleicht macht es aber trotzdem sinn, auch als laie mut zur meinung zu beweisen. so gesehen wäre ich als eher mittlere generation ja dann doch auch an urteilen der b-jugend interessiert. jeder darf also, ja muss mitmachen! heino, ich will auch einen beginner-mix....

Anonym hat gesagt…

Kriegst Du, Joe !
Hier schon mal das Tracklisting:
Westcoast - Songs For Beginners
Selected By Heino Walter (2008/08/20)
01. Crosby, Stills, Nash & Young - Carry On (Déjà Vu, 1970)
02. Jackson Browne - Doctor My Eyes (Saturate Before Using, 1972)
03. Jerry Garcia - Sugaree (The Wheel, 1971)
04. Hot Tuna - Sea Child (Burgers, 1972)
05. David Crosby - Laughing (If I Could Only Remember My Name, 1971)
06. Grateful Dead - Sugar Magnolia (American Beauty, 1970)
07. Jefferson Airplane - Somebody To Love (Surrealistic Pillow, 1967)
08. Paul Kantner, Grace Slick & David Freiberg - Sketches Of China
(Baron Von Tollbooth & The Chrome Nun, 1973)
09. Moby Grape - About Time (20 Granite Creek, 1971)
10. Love - Always See Your Face (Four Sail, 1969)
11. The Steve Miller Band - Sugar Babe (The Joker, 1973)
12. Paul Kantner / Jefferson Starship - A Child Is Coming
(Blows Against The Empire, 1970)
13. Spirit - I Got A Line On You (The Family That Plays Together, 1969)
14. The Beau Brummels - Wolf (Beau Brummels, 1975)
15. Buffalo Springfield - Mr. Soul (Buffalo Springfield Again, 1967)
15. New Riders Of The Purple Sage - Portland Woman
(New Riders of the Purple Sage, 1971)
16. Stephen Stills - Love The One You' re With (Stephen Stills, 1970)
17. Quicksilver Messenger Service - The Fool (Quicksilver Messenger Service, 1968)

Anonym hat gesagt…

...good god! Davon kenne ich gerade mal die Namen (und genau 2 songs). Freu' mich schon!

...übrigens bin ich älter als Joe! (ich seh' nur jünger aus)

Anonym hat gesagt…

Den "Westcoast-Songs for Beginners"-Mix würde ich als Laie allerdings auch sehr gerne hören, lieber Heino. Das Ding wäre doch vielleicht etwas für einen öffentlichen Post im Laufe der Woche, oder ;-)

Anonym hat gesagt…

icks icks:
k-nut, deine comments erfreuen mich, Gruß nach Kölle!

Anonym hat gesagt…

@ff: icks icks und Gruß zurück!

Anonym hat gesagt…

Glückwunsch! "Songs for Beginners" Schöne, didaktisch klug aufgebaute Einführung ins Thema - jeder einzelne Titel könnte Thema für einen weiteren Mix mit jeweils weiteren 16 Titeln ergeben, und so weiter... nur um den Nichteingeweihten die Größe der hier losgetretenen Lawine zu verdeutlichen.
f-stone