Motel California
Dem Westcoast-Sound der späten 60er und frühen 70er Jahre kann man sich auf endlos ausholendem Wege über Playlisten und Mixtapes annähern, herrliche Umwege und erschreckende Abgründe lassen sich entdecken, da kommt man schnell vom Hundertsten ins Tausende. Aber bei der Musik ist ja der Weg (das Hören) letztlich auch das Ziel. Also Leute packt den Flickenteppich, an welcher Ecke auch immer Ihr wollt, und lasst Euch treiben.
Es gibt keine Wahrheit, es gibt nur Querverweise.
Paul Kantner
Blows Against The Empire (1970)
Hier kommt jetzt mein Querverweis: Der Einfachheit halber nähere ich mich mal dem Westcoast- Thema (Abteilung: San Francisco) von genau der anderen Seite, nämlich von ihrem Ende her.
Den Höhepunkt (und damit auch irgendwie den Endpunkt) des San Francisco -Sounds stellt für mich persönlich
Paul Kantners „Solo“album
Blows against the Empire dar. In diesem Album steckte alles, was mir damals als 15-jährigem Oberschüler in Germany wichtig und bedeutend war.
Paul Kantner machte mir ein unwiderstehliches Angebot. Er unterstützte meine Rebellion gegen die alten autoritären Knacker in meiner Welt mit seinen scharfen aufrührerischen Texten, er verkörperte für mich den Prototyp des furchtlosen (weil großmäuligen) politisch aufgeklärten coolen Hippies, er sah mit seiner blonden Zottelmähne und der John-Lennon-Brille mega-cool aus, er hatte die schärfste Frau an seiner Seite (Grace Slick) und spielte in der heißesten Band der Welt (Jefferson Airplane). Paul Kantner war der Autor von
We Can Be Together, meiner persönlichen National-Hymne. (Einem der 3 besten Songs aller Zeiten)
Und dann erschien ein Soloalbum von ihm, das sich bei näherem Hinhören als ein kollektives Wunderwerk an eingängigen Melodien, knackiger Rock-Riffs, verschnörkelter Instrumentalpassagen und himmlischen Gesangssätzen in lockerer Jamsession-Atmosphäre entpuppte.
Kantner hatte die coolsten Musiker aus der Bay-Area um sich herum versammelt. Ich würde mal sagen, die ganzen Anti-Autoritären, die Freigeister und Träumer …
Blows Against The Empire zeigt die beteiligten Musiker im Zenit ihres Könnens. Alle hatten ihr Handwerk in den Jahren vorher erlernt und verfeinert, hatten sich das nötige Selbstbewusstsein erarbeitet und auch die Studiotechnik in ausreichendem Maß beherrschen gelernt, die Egos und die Drogencocktails waren noch nicht überdimensioniert, der Teamspirit hoch entwickelt. Business und Anarchie hielten sich noch die Waage. Ich denke genau diesen Ausschnitt der Wirklichkeit hält das Album für immer fest.
Danach kamen noch Wagenladungen von guter Musik, aber soo schön wie bei
Blows… oder bei den Aufnahmen zu
If I Could Only Remember My Name von David Crosby wurde es nie wieder. Der Mix, die Kombination, die Melange der unterschiedlichen Talente wirkte nie wieder so organisch.
Soweit die persönliche Einordnung. Falls noch jemand Interesse hat, ein paar (nüchterne?) Fakten:
Blows … ist eigentlich eine Verlegenheitsproduktion, Kantner und Slick gingen ins Studio um ein paar Demos für das
Volunteers-Nachfolgealbum von Jefferson Airplane einzuspielen.
Die alte Airplane Besetzung war aber nach der ausgedehnten
Volunteers-Tour (inkl. Woodstock-Auftritt Morning Maniac Music!) am Auseinanderfallen. Kaukonen und Casady waren von ihrer funky Bluescombo Hot Tuna absorbiert, Drummer Spencer Dryden wurde halb rausgemobbt, halb wurde ihm alles zu groß und zu viel. Marty Balin nahm sich eine Auszeit.
So entwickelte sich aus den verschiedenen Songideen ein Konzeptalbum. Erzählt wird letztlich die Geschichte einer Revolution der Gegenkultur gegen das oppressive Regime von „Uncle Sam“, der Plan der Revolutionäre besteht unter anderem darin, ein staatliches Raumschiff zu kapern und damit aus der Umlaufbahn heraus ins All zu reisen auf der Suche nach einem neuen Zuhause.
Mau Mau eröffnet Seite 1 der alten LP mit einem Art Manifest der Gegenkultur, das alle Kräfte der Gegenkultur vereinende Element ist die freie Musik in den Parks. Die Menschen erweitern ihr Bewusstsein und propagieren freie Liebe. Der Militärmaschine des Establishments setzen sie Lebensfreude und bewusstseinserweiternde Drogen entgegen. „We’ll ball in your parks, insane with the flash of living“. Dem konservativen Regime, das auf Krieg und Spaltung der Gesellschaft beruht, wird eine egalitäre freie Utopie entgegen gesetzt. „So drop your fucking bombs, burn your demon babies, I will live again“. Die Botschaft ist: Ihr bekommt uns nicht.
Und die Botschaft ist auch: Wir werden immer mehr. The Baby Tree: ein kurzes Kinderlied, das auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper auf dem Album erscheint, aber nach dem Riff-lastigen Mau-Mau wie ein Atemholen daher kommt. Thema ist eine märchenhafte Insel, wo die Babies auf Bäumen wachsen und die glücklichen Elternpaare sich die vom Wind herunter gewehten Kleinen auflesen.
Das Lied ist kurz und der Text simpel. Viele Jahre später habe ich meine erste Tochter damit (mehr oder weniger) erfolgreich in den Schlaf gesungen.
„Let’s Go Together“ und „A Child is coming“ führen das Thema fort: Ein Paar befindet sich unter den ganzen Aktivisten im Park in der Nacht bevor das Raumschiff gekapert werden soll, und während alle auf einem Acid-Trip sind, eröffnet sie ihm, dass sie schwanger ist. Beide beschließen, dass das Kind nicht dem herrschenden Regime von Registrierung und Einsortierung unterworfen werden soll und so schließen sie sich den Hijackern an.
Auf der 2. Seite des Albums starten sie dann durch:
„Sunrise“ schildert hier den Anbruch des entscheidenden Tages. Grace Slicks Sirenen-Gesang über 10, 12 oder mehr Lagen von Jack Casady’s voluminösem Bass. Immer wieder ließ Kantner Jack Casady die Läufe spielen, jedes Mal haute der eine geniale Linie heraus und am Ende konnte sich Kantner für keine entscheiden. Sie waren alle sensationell gut aber auch alle verschieden, so entschloß er sich am Ende sie alle zu benutzen, und packte sie Lage auf Lage übereinander. Das Ergebnis ist schon ziemlich einzigartig.
„Hijack“ das Raumschiff wird von den Revolutionären gekapert, „Home“ beschreibt das Verlassen der Umlaufbahn, „Have You Seen The Stars Tonight“ die Ruhe nach dem Sturm, ein Traum von Schönheit und Stille, ein Stück, das seinen Platz ebenso auf David Crosby’s Soloprojekt hätte haben können. „X-M“ Die Systeme werden für den weiteren Kurs eingestellt und dann nach der Niederschlagung einer Meuterei (oder der Klärung über den zukünftigen Kurs) verlässt das „Starship“ unser Sonnensystem.
Okay, aus heutiger Sicht sicher eine ziemlich krause Geschichte. Aber immerhin gab es 1971 eine Nominierung für den renommierten HUGO Science Fiction Award in der Kategorie: Beste Dramatische Präsentation (Das erste Rock Album, dem diese Ehre zu teil wurde).
Entscheidend ist aber die musikalische Power, die hinter all dem Space-Schnickschnack steht. Das sehr eigene Pianospiel von Grace Slick, das ständig eine treibende Kraft ist, Kantners 12-saitige Rhythmusgitarre und das an allen Ecken und Enden aufblitzende Gitarrenspiel von Jerry Garcia ergeben zusammen einen Sound, der fast von einem anderen Stern zu kommen scheint. Dieser andere Stern hieß damals schlicht und ergreifend: San Francisco.
In den 80er Jahren griff Paul Kantner noch einmal eine Idee aus der Zeit von
Blows… auf. Er, Crosby und Garcia hatten damals die Idee eines gemeinsamen „Planet Earth Rock’n’Roll Orchestra“, das dann Jahre später eingespielte Album war nicht wirklich der Rede wert, es enthielt allerdings die berückend schöne Kantner/Crosby/Garcia Komposition „Mountain Song“, da war er dann noch mal ganz nah - der Spirit von 1970.
Zur Vertiefung lohnt sich das Buch von Jeff Tarmarkin „Got A Revolution! The Turbulent Flight Of The Jefferson Airplane“.
Und dann habe ich vor gut einem Jahr ein ca. 2 stündiges Interview mit Paul Kantner aus dem Netz runtergeladen, das eine Menge Hintergrund zu diesem Album aber auch zu einer Menge anderer Airplane und Starship Alben liefert. Wenn ich bloß noch wüsste wo …
Macht Euch auf die Suche.
Und zum Abschluss noch eine bewegte Anekdote aus meinem Leben: Im Winter 93 gastierte Kantner mit einer neuformierten Starship –Band in Berlin-Neukölln in der „Neuen Welt“ am Hermannplatz, ungefähr 1 km Luftlinie von meiner damaligen Behausung. Geiger Papa John Creach war noch mit von der Partie und durfte ein Solo spielen (herzzerreissend: Somewhere over the Rainbow), sie spielten die komplette 2. Seite des Blows…-Albums am Stück. Jack Casady am Bass war ein Erlebnis. Gekommen waren vielleicht 100 Zuschauer, die verloren sich in der großen Halle. Es gab ein paar Probleme mit der Bühnentechnik und Kantner zickte mit seinen Musikern rum. Eine gewisse gut aussehende junge Sängerin namens Darby Gold gab die Grace Slick, stimmlich durchaus nicht schlecht. Aber es war ein mehr als zwiespältiger Abend. Es ist manchmal vielleicht besser, wenn alte Träume sich dann doch nicht mehr erfüllen. Kantner ist mit seiner Ausgabe des Starship auch heute noch unterwegs. Der Zenit von 1970 dürfte bei aller Anerkennung und Zuneigung aber inzwischen endgültig außerhalb jeglicher Reichweite sein. (F-stone)