Donnerstag, 4. Juni 2009
Maybe It's The Time Of The Year
„We are stardust / We are golden / And we've got to get ourselves / Back to the garden.“ Joni Mitchell hat das gesungen – vor 40 Jahren. Und es sind diese Zeilen aus dem Song „Woodstock“, die einem durch den Kopf gehen, wenn man die Weser entlang in Richtung Glitterhouse schlendert, die Gesichter der Menschen, die bunten Zelte, die Wiesen strahlend im Sonnenschein. „I'm going to camp out on the land“? Nun, nicht gerade, sondern: in der besten Jungs-WG ever. Danke Joe, Knut, Chrispop und André. „I'm going to join in a rock'n'roll band“? Ja, aber ganz gewiss, und zwar die Real Ones aus Norwegen, die vielleicht beste Auftaktband, die jemals auf einem Orange Blossom Special-Festival ihre Instrumente ausgepackt hat. Großartige, mit Little Feat-Grooves unterlegte Americana-Tunes sind die Spezialität dieses Quintetts, das schon mal den einen oder anderen Song mit einer Sitar veredelt und mit einigen Breaks und Unisono-Passagen von Geige und Gitarre für erste Gänsehautmomente im Auditorium sorgt. Ein fabelhafter Start – und da sollte ja noch so viel mehr kommen. Wie sie in Woodstock immer sagten, bevor der große Regen kam: „Three days, man, three days.“
Sich Miss Benedicte Braenden aus Norwegen im Schlamm von Max Yasgurs Acker vorzustellen (oder, wenn's beliebt, im Schlamm des OBS-Gartens vor ein paar Jahren), fällt einem nicht leicht. Hochhackiges Schuhwerk, ein buntes Bisschenwas von einem Kleidchen und Schminke als gäb's kein Morgen mehr, sind ein so eklatanter Widerspruch zum üblichen Dresscode, dass man's schon wieder toll finden kann. Und wir wollen ja auch nicht spießig sein, zumal sich das Paradiesvogelige aufs Outfit beschränkt, und die Musik handfester Rock mit reichlich Country-Beigaben ist. Handfester Rock (minus die Country-Beigaben indes) ist dann auch das Stichwort für die Gods Of Blitz, deren Songs einem allerdings zum einen Ohr hinein- und zum anderen hinaussausen, ohne bleibende Eindruck zu hinterlassen. Das schaffen anschließend zumindest ansatzweise Washington, die mit großen Gesten, melancholischer Grandezza, bubenhaftem Charme – einige Damen im Publikum machen sich anheischig, Sänger Rune Simonsen auf der Stelle zu adoptieren – und phasenweise großartigen Songs betören. Gelegentlich bricht der Spannungsbogen ein wenig – doch wen mag das stören? It's a marvelous night for a moondance.
So schön der Freitag endete, so schön beginnt der Samstag, nach einer langen, angenehm beschickerten Nacht in unserer Stadtkrug-Homebase mit dem ganz und gar bezaubernden Quartett Tenfold Loadstar, deren betörender Indie-Folk-Pop mit Songs, die in einer besseren Welt als der unseren die Charts anführen würden („Sun And Rain“! „Hey Now“!!), samt stoischer, aber charmanter Performance für den perfekten Einstieg in einen abwechslungsreichen Tag sorgt – und wer genau aufpasst, kann hören, wie Caro Garskes Gesang – leise, ganz leise – ein paar Herzen bricht. Der Preis für den besten LP-Titel geht ohnehin an den Vierer aus Braunschweig: Wann zuletzt hätte man Poetisches gehört wie „It's Cold Outside And The Gnome Is You“. Nick Drake zählt in diesem Fall nicht. Eben. Danach verrichten die Deutsch-Americana von Black Rust und der Schwede Kristofer Ragnstam, der gewiss die halbe Pop-Historie aufgesogen hat, so unaufgeregt wie kompetent ihren Job, ehe eine – ähem – vampireske Marissa Nadler für erhöhte Pulsfrequenz sorgt: bei den einen aus Ärger über solch jammerigen Kram, bei den anderen aus Begeisterung über so viel nachtschwarzes Soulsearching am helllichten Tag. Als Zugabe gewährt Miss Nadler eine mit Passagen aus Townes Van Zandts „Tecumseh Valley“ angereicherte Lesung von Bruce Springsteens „I'm On Fire“. Zum Hinknien schön. Gewiss eines der Highlights des Festivals.
Letzteres gilt ganz gewiss auch für Blues Rose recording artists The Band Of Heathens, die nach so viel Gedankenschwere mit ihrem erfrischenden, nie tumben, beizeiten gar hochkomplexen Roots-Rock den Garten rocken. Da werden Erinnerungen an die jungen Eagles oder The Band zu deren „Stage Fright“-Phase wach, da werden die Beatles gecovert („I've Got A Feeling“), da wird der uralte, immer noch wundervolle Worksong „Ain't No More Cane On The Brazos“ ausgegraben. Da wird harmony gesungen, dass es nur so eine Art hat, three-guitar-army-mäßig gerockt, dass sich die Bühnenbalken biegen, und die pure Highway-Seligkeit beschworen: „Three tons of steels, four miles to go.“ Schade, es hätten auch four-hundred miles sein dürfen, doch es warten ja schon Kristofer Aström & Rainaways, deren fraglos große Songs in Anbetracht dessen, was schon war, und dessen, was noch kommen wird, einigermaßen spurlos vorüberziehen. Gegen halb elf abends ist die Zeit gekommen für (all the way from Slovenia) Chris Eckman – nebenbei: einer der sympathischsten und intelligentesten Musiker, die ich kenne – & The Last Side Of The Mountain Band samt vierköpfigem Damenchor, deren Auftritt zwischen Eckmans Solo-Spot „Findlay's Motel“ über Chris' Solowerk und den Walkabouts-Klassiker „The Stopping-Off Place“ bis zu einer grandiosen (allerdings von einem sturzbetrunkenen und sehr, sehr blonden Huhn unmittelbar vor der Bühne empfindlich gestörten) „Cortez The Killer“ unterschiedliche Reaktionen auslöst. Manch einem war das allzu elegisch, andere hielten's für musikalisch nicht ganz ausgereift, ich, der ich Eckmans Cinemascope-Sounds heiß und innig liebe, fand's toll und die Last Side Of The Mountain Band, Amateure allesamt, die zum ersten Mal außerhalb Sloweniens aufgetreten sind, auf alle Fälle grundsympathisch.
Und dann, an einem strahlenden Sonntagmittag, passiert Seltsames: Wir sehen die Vergangenheit des Rock'n'Roll, und ihre Name ist – Jim Morrison. Im Ernst: Was Baby Universal aus Gotha (wenn ich richtig verstanden habe) und speziell ihr Sänger Cornelius Ochs da auf der Bühne auspacken, sind die abgegriffensten Rock-Posen, die allerschlimmsten Klischees – musikalisch wie textlich. Und doch – das ist jetzt kein irgendwie kruder postmoderner Humor – ist das alles schlicht und ergreifend großartig. Weiter so, Jungs. Eines noch: Wer Woody Guthrie und Public Image Limited covert, kann kein schlechter Mensch sein. Der Preis für den besten Spruch in diesem Kontext geht an Chrispop. „U2 haben angerufen, sie wollen ihr Pathos zurück.“ Nuff said. Kontrastprogramm dann anschließend mit The Miserable Rich, die in ungewöhnlicher Besetzung – Gesang, Gitarre, Violine, Cello, Kontrabass – einen zu Herzen gehenden Kammer-Britpop-Folk zelebrieren, der sich absolut heutig anhört und doch auch 1970/71 sehr gut auf das Island-Label gepasst hätte. Meine persönliche Entdeckung dieses Festivals.
Was danach kommt, müssen zumindest die Jungs im Moshpit nicht mehr entdecken, manch andere(r) reagiert verschreckt: The Fabulous Penetrators „from London town“, wie Liam sagt, indes eher eine rock'n'rollige Variante der Vereinten Nationen – Liam ist irischstämmig, John (Gitarre) Schotte, Crispin (Gitarre) Engländer, Joao (Schlagzeug) Portugiese und Clement (Bass) Franzose - ziehen hier die ganz große Nummer ab, inklusive Gorillakostüm, reichlich Alkohol, Übergriffen auf das Bühnenpersonal, der OBS-Raupe, zerschlagenen Maraccas, mächtig viel Gedöns und einem unwiderstehlichen „Baby Please Don't Go“. So was nennt man wohl: den Laden im Sturm nehmen. Dass Spötter behaupten, die Penetrators würden „nur zwei Songs spielen, ,The Hump' und den anderen“ - so what? That's Rock'n'Roll, babies, wir sind hier nicht auf der Musikhochschule. Wichtig ist: It kicked ass.
Da hat es Azure Ray- und Conor Oberst-Liebchen Maria Taylor im Anschluss trotz wunderschöner Lieder unverdientermaßen schwer, während man sich von I Am Kloot irgendwie mehr erwartet hat, ohne recht zu wissen, was eigentlich. Vielleicht ja: mehr memorable Songs. Die haben die – wie sich später herausstellen sollte – nicht allzu trinkfeste Greta Bondesson und ihre Schwestern Stella und Sunniva aka Baskery im Übermaß. Gitarre, Banjo, Bass und Kickdrum: Mehr brauchen die drei Schwedinnen nicht für einen herausragenden Gig, der so klingt wie man sich die Dixie Chicks on speed vorstellen möchte. Echt jetzt: „One Horse Down“, „Out-Of-Towner“ und all die anderen sind Tunes, für die man früh um vier aufstehen und stundenlang wandern würde, nur um sie zu hören. Gleiches gilt auch für die Songs von Get Well Soon, die indes viel feiner gedrechselt, sorgfältigst auskomponiert und arrangiert, mit großen Gesten unterfüttert sind. Vor 30 Jahren schrieb ein geschätzter Kollege mal über Supertramps „Breakfast In America“-Album sinngemäß, auf dieser Platte befände sich kein einziger Ton, der irgendwie zufällig reingerutscht wäre. Vielleicht liegt's daran, dass ich mir Get Wells „Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon“ recht gern im stillen Kämmerchen anhöre, es aber live zwischen Konstantin Gropper und mir nicht klicken mag. Vielleicht ist's ja aber auch nur der Abschiedsschmerz, der sich allmählich einzustellen beginnt und mir das Grande Finale ein ganz klein wenig vergällt. Aber: We will get well soon. Spätestens im nächsten Jahr. And everywhere there'll be a song and a celebration. Wir sehen uns.
P.S.: Meinen Dank und meine Liebe an meine Mitbewohner in der famosen Jungs-WG, an die unfassbar gastfreundliche Richter-Family, an Axel und Heike, an all die Nürnberger, Stuttgarter, Wiesbadener, Hannoveraner, Ostwestfalen, an die Praktikanten und Ex-Praktikanten, an die coole Gang, die meinem FCN die Daumen gedrückt hat, an alle Bands und DJs und natürlich an Reinhard und Rembert. Ihr seid Helden. Lasst es mich mit Baby Universal sagen: It's a soul thing. Keep the fire burning. (Peter Felkel)
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2 Kommentare:
...und der peter ist bei "tecumseh valley" tatsächlich auf die knie gesunken. vermutlich auch beim endgültigen aufstieg seiner clubberer in die bundesliga. das war doch mal ein schönes wochenende, gell?
....mein lieber Peter! Das hast Du mal schön geschrieben! Mir ist als hätte ich nix verpasst, dank Deines schönen Berichtes! Nächstes Jahr muss ich dann unbedingt das volle Programm genießen! Was für ein schönes Wochenende! Noch immer glücklich!!!
Sailorgirl
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