Keep the Movies groovin’:
Quadrophenia
In unregelmäßiger Folge hat sich an dieser Stelle bislang immer Whirlyjoe zum Thema taugliche Filmmusik geäußert, die irgendwas mit dem shake-baby-shake-Kosmos zu tun hat. Nun springe ich ( busch-Man) mal eben für den überbeschäftigten Schwaben ein.
Quadrophenia: n. personality split into four seperate facets;
advanced state of schizophrenia; twice the normal accepted
medical condition; inabilitiy to control which facet is
foremost at any one time.
Ein Text über den ausgezeichneten Film Quadrophenia und den ebenso fantastischen Soundtrack kommt natürlich nicht ohne eine kurze Vorstellung der dazugehörigen Subkultur aus, der Jugendbewegung der Modernists oder auch kurz Mods genannt. Der Ursprung der Bewegung lag anno dazumal in Großbritannien, wo Arbeiterkinder ab dem Ende der 1950er Jahre versucht hatten, durch teure Markenklamotten und die Nachahmung eines vermeintlich guten Stils ihren eigentlichen Ursprung und somit die eigene Herkunft aus der Arbeiterklasse zu verbergen.
Als Fortbewegungsmittel dienten den Mods – wiederum in Imitation des ‚Italian Way of Life’ beziehungsweise dessen, was sich die englischen Jugendlichen dafür hielten – klassische Motorroller der beliebten Marken Lambretta oder Vespa Piaggio. Mit diesen häufig extrem aufgemotzten Kisten fuhren die Mods dann am Wochenende in großen Cliquen ans Meer. Ein bevorzugtes Ziel war der Electric Ballroom in Brighton. Natürlich wurde dort kräftig abgefeiert, vor allem aber fuhren die Mod-Gangs dorthin, um sich vor Ort weitschweifige Straßenschlachten mit den verfeindeten Rockern zu liefern.
Echte Mods versuchten nach solchen Unternehmungen auch dann noch stilvoll, elegant und sophisticated zu erscheinen, gerade im Hinblick auf den drohenden Montagmorgen, wenn es mal ordentlich auf die Fresse gegeben hatte.
Die für den geneigten Blog-Leser besonders interessanten musikalischen Wurzeln der Modernists lagen indes in der schwarzen Musik. Die Hauptinspiration lieferten die damals extrem stylischen Rude Boys, deren Vorliebe für Ska-Musik eine ausgesprochen große Wirkung auf die Mods hatte. Letztlich gehen auch große Teile der facettenreichen Northern-Soul-Culture auf diese prägende englische Jugendbewegung zurück. Der R-man hatte ja vor einiger Zeit die kürzlich bei Sony/BMG erschienene, wirklich brillante 4-teilige Northern Soul Story wärmstens empfohlen, die sich mit den vier einflussreichsten englischen Klubs Twisted Wheel, Golden Torch, Blackpool Mecca und dem Wigan Casino auseinandersetzt.
In der zweiten Mod-Bewegung in den 1970er Jahren hatten die grandiosen The Jam wohl den mit Abstand größten Einfluss auf die Szene – Frontmann Paul Weller ist ja bis heute unter dem Synonym ‚Godfather of Mod’ bekannt. Die berühmten Parkas wurden übrigens erst in dieser zweiten Welle der Bewegung, die konträr zum aufkeimenden Punk wieder in Mode kam, zum absoluten Trademark der Mods. Diese Jacken wurden dann zumeist mit Aufnähern der Who, anderer Bands oder dem berühmten Mod Target verziert. Die Mods der ersten Stunde trugen zumeist Anzüge mit schmalen Krawatten.
Quadrophenic: adj. Extremely volatile state of mind;
A condition of today
Aus der ersten Mod-Welle schafften es Leute wie der damals noch coole Rod Stewart von der Straße direkt ins Rampenlicht. Er und seine Small Faces, zu denen bekanntlich auch der heutige Stones-Gitarrist Ronnie Wood gehörte, prägten allein von ihrem Erscheinungsbild her den quasi Urtypus des Working Class Heros, der den Sprung in die Oberklasse gepackt hatte. Trotz allem sind die Who wohl die nach wie vor die wohl wichtigste Band im Mod-Universum – ihnen wollen wir uns nun zuwenden.
Quadrophenia von Regisseur Franc Rodham ist eine klassische ‚Coming of Age’-Geschichte. Ein berühmter Filmkritiker beschrieb das Sujet des Films so:
“A young man joins the British mod movement and gains a feeling of belonging and importance, but this makes him even more disenfranchised from his boring 9 to 5 life.”
Im Gegensatz zu der klassischen ‚Rockoper’ Tommy, die als eine Art skurriles Musical – im übrigen hasse ich diese oft unnötige Singerei eigentlich – mit Daltrey in der Hauptrolle ebenfalls verfilmt worden ist, handelt es sich bei Quadrophenia um einen echten Spielfilm, quasi ein lupenreines Melodrama, einen mitreißenden Spielfilm in der Tradition von Klassikern wie ‚Denn sie wissen nicht was sie tun’ mit James Dean.
Die emotionale Wirkung erzielt der Film mittels der durchweg realistischen und wohl auch deshalb so deprimierenden Schilderung der Situation des blutjungen englischen Mods James Michael ‚Jimmy’ Cooper im London des Jahres 1965. Jimmy verdient seine Brötchen als Bote einer Werbeagentur, ist in jeglicher Hinsicht angeödet von seinem Dasein und hat nebenbei selbstredend reichlich Ärger und Stress mit den spießbürgerlichen und herrschsüchtigen Eltern. Jegliche Ausbruchversuche des Youngsters scheinen von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein. Folglich fliegt er nach einer üblen Schlägerei seiner Mod-Gang mit den Rockern zuhause raus, verliert den Job, seine Freundin und zu allem Überfluss geht auch noch sein heißgeliebter Motorroller zu Bruch. Seinen absoluten Tiefpunkt erreicht Jimmy allerdings erst, als er voller Entsetzen mit ansehen muss, wie der von ihm heftigst verehrte angeblich so coole und stoisch daherkommende Bandenchef The Ace Face – verkörpert von Sting in seiner ersten großen Filmrolle – als Hotelpage reichen Geldsäcken in den Allerwertesten kriechen muss. Für Jimmy bricht eine Welt zusammen ... Hier ein Video.
Sting in seiner Rolle als Ace liefert dann auch einen der Aufhänger für den formidablen Soundtrack zum Film: In einer wirklich grandiosen Szene tanzt der Bandenchef zu den Kingsmen mit ihrem Monsterhit 'Louie Louie' ab – einfach herrlich! Ein echter Klassiker, der den Garage-Band-Standard auf Jahre hin definiert hat und bis heute auf jeder halbwegs vernünftigen Party läuft. Meine Spoonful-Detektoren waren bisher bekanntlich recht kümmerlich ausgebildet, aber in diesem Fall bin ich überzeugt, dass Louie Louie definitiv auf Move On Up/ The Hits gehört!
Vertreten sind überdies die formidablen 'Green Onions’ von Booker T. und seinen MG’s, dessen Häuschen die shake-baby-shake-Posse im übrigen bei Gelegenheit kaufen wird. Ein Song für die Ewigkeit! Ansonsten sind die Who auf dem Soundtrack mit einem Großteil ihres Oeuvres von dem gleichnamigen Doppel-Vinyl vertreten: Bald metaphorisch beginnt die Platte mit ‚I am the Sea’ – die ersten Klänge versüßt uns der raue Atlantik mit seinem beinahe aggressiven Rauschen. Dann setzen die Who mit all ihrer Brachialgewalt und dem Song 'The real me' ein und geben die Marschrichtung vor. Bei 'Love reign o’er me' ist die Band dann wohl am emotionalen Höhepunkt ihres Schaffens angelangt – mehr geht nicht und mehr kam danach auch nicht.
Kev: I don't give a monkey's arsehole about Mods and Rockers. Underneath, we're all the same, 'n't we?
Jimmy: No, Kev, that's it. Look, I don't wanna be the same as everybody else. That's why I'm a Mod, see? I mean, you gotta be somebody, ain't ya, or you might as well jump in the sea and drown.
Darauf folgt ein kurzes aber knackiges British-Invasion-Intermezzo. Die High Numbers, eine frühe Inkarnation der Who aus dem Jahr 1964 unter deren Kumpan und Manager Pete Meaden, mit 'Zoot Suit' und der Song 'Hi Heel Sneakers' von Cross Section. Dann lassen sich die Herren Townshend, Daltrey, Entwistle & Moon umgehend zum zweiten Set bitten: 'Get Out And Stay Out', 'Four Faces', 'Joker James' und vor allem 'The Punk and the Godfather' schleudert uns dieses Powerhouse um die Ohren – die Who scheinen hier tatsächlich auf der Höhe ihrer Kreativität und Leistungsfähigkeit als Band gewesen zu sein. Tommy war mir immer ein wenig zu hippie- und avantgardemäßig, während Quadrophenia dagegen in furioser Manier Lennons Weisheit “A working class Hero is something to be” belegt und echte Inhalte vermittelt.
Trotzdem kommt es in der Tat noch besser, denn augenblicklich geht es in die shake-baby-shake-relevante Ecke: Nach den letzten Klängen von Townshends extrovertierter Windmill-Gitarre lässt uns Schaffner James Brown in den 'Night Train' zusteigen und was ist das im Anschluss dann noch für eine grandiose Fahrt!?! Ursprünglich auf der letzten Seiten des Vinyl-Doppelalbums vereint, folgen eine ganze Reihe von wirklich klassischen Mod-Hymnen und echten Soundperlen. Eine gute Prise Early-60’s-Soul von den Cascades, ein wenig Girl-Group-Feeling von den Chiffons und Ronettes und dann auch noch die bereits genannten Kingsmen und Booker T. & the MG’s. All diese Songs sind nicht nur bei den Mods ein fester Teil des musikalischen Lebens geblieben. Alles in allem ein echter Klassiker des Soundtrack-Genres und absolut empfehlenswert. (busch-Man)
9 Kommentare:
danke busch-man, du sprichst mir dermassen aus der seele. und mach dir keine gedanken, deine spoonful-detektoren funktionieren prächtig.
Kein Problem, mein lieber Whirly! Bei diesem Monster-Song hätte allerdings wohl so ziemlich jeder Spoonful-Schwingungen empfangen ...
der wohl längste Post ever im SBS-Blog!!
Der Film und vor allem der Soundtrack sind mir viel zu Pathos-beladen...
allein "Love...rain (oder reign) on meeeee!" Gar fürchterbar!
verwechselst du nicht pathos mit gefühl?
gefühl & härte (beispielhaft in diesem film) sind ok.
wolf.
wow, was für ein Mann -- Wolf ist ein Pseudonym, gell?
ff, anonym
da schliess ich mich fruity an...spätestens ab der the who sell out wurde die kapelle auf einmal so...äh...künstlerisch/überkandidelt/langweilig...
dieses ganze synthiegedudel und konzeptartzeugs braucht doch keiner:)
wirklich soo viel besser (abgesehen von den party&tanzszenen) ist der film dann leider auch nicht, da sind filme wie blow up, the party oder wegen mr auch riot on sunset strip irgendwie mod-iger, "echter"...meine meinung...
Überkandidelt finde ich hingegen viel eher Antonionis 'Blow Up'. Für 'Tommy' würde ich dir da in Teilen Recht geben, bei 'Quadrophenia' allerdings überhaupt nicht.
also ich steh da auf deiner seite busch-mann. blow-up ist ein toller film, aber eben genau so künstlerisch überkandidelt wie chrispop über die späteren who schreibt.
lustigerweise habe ich zwei posts schon fertig: einen zu the who und einen zum thema musikfilme. als hätte ich geahnt, dass da diskussionsbedarf besteht - demnächst in diesem theater!
'Blow Up' ist ein fürchterlicher Kack-Film (sag' ich als Fotograf)
'Quadrophenia' fand ich völlig ok!
'Tommy' finde ich allerdings auch grauslich!
...aber: toller Text!
Danke busch-man
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