Stag-O-Lee Shakedown: Die Eisarena brennt
Was für ein Wochenende: perfektes Wetter, grandiose Location, sagenhafte Bands und abenteuerliche Parties. Der Shakedown brachte vor allem zwei dominierende Gesichtsausdrücke bei so gut wie allen Beteiligten hervor: beseeltes bis grenzdebiles Dauergrinsen, das einfach nicht mehr weichen wollte, wahlweise auch die erstarrt heruntergeklappte Kinnlade zu weit aufgerissenen Augen und Ohren.
Wollen wir das mal anhand der aufgetretenen Bands verdeutlichen, von denen tatsächlich alle da waren, pünktlich auftraten und ganz offensichtlich ihren Spaß hatten.
Freitags-Beispiele für das erste Reaktionsmodell – Strahlen von einem Ohr zum anderen:
Gizelle Smith & The Mighty Mocambos - funky, tight & together, der Sound so heiß wie die Temperaturen unterm sonnendurchlässigen Plastikdach der Arena. Für diese Situation noch geeigneter:
The Moon Invaders. Die vielköpfige Truppe aus Belgien kombinierte Ska und Reggae zu einem einzigen wogenden Groove mit magischer Sogwirkung.
Fast noch besser funktionierte das am Samstag
bei den
Dynamics - die präsentieren sich zwar eher im HipHop-Format mit Sängern und zwei elektronischen Beatzauberern, waren aber genau die richtige Band zur richtigen Zeit am brennend heißen Nachmittag. Mittlerweile war die Hitze durch das Plexiglasdach exakt vor die Bühne gelegen, weshalb das Publikum nach links und rechts auswich und damit genau vor den PA-Türmen stand, wo der mächtige Bass erst richtig auf den Magen wirkte – eine ganz wunderbare Erfahrung, auch dank des fantastischen Soundmannes Thorsten, der die unterschiedlichsten Bands in schwierigem Ambiente fantastisch klingen ließ - Maximum Respect!
Das Dauergrinsen wurde dann bei der vorletzten Band am Samstag endgültig zur Epidemie, denn was die spanischen
Sweet Vandals ablieferten, war einfach nur wunderbar: Funk und Soul mit kleiner Band, keine Bläser, dafür aber Sängerin Majika Edjo – ein atemberaubendes Ereignis, die personifizierte gute Laune in superfunky, singend wie tanzend hatte sie das beglückte Publikum aber so was von lässig im Griff. An dieser Stelle darf man dann auch schon mal attestieren, dass das Stag-O-Lee-Konzept der stilistischen Openmindedness voll aufging, denn während bei den lauteren Gitarrenbands eher dezent mitwippende Herren die vorderen Reihen füllten, dominierte bei den Vandals die tanzende Damenwelt - ratet mal, was besser aussah. Womit hier schon mal amtlich festgehalten werden darf: The Sweet Vandals waren eine der (so viel verrate ich schon mal) drei Topattraktionen, sie hätten unbedingt auch einen perfekten Headliner abgegeben.
Zurück zur Mimik: Modell „Atemloses Staunen“ konnte man bei garantiert jedem Besucher vor allem bei einer Band erleben: den unglaublichen
Death Letters, R-Mans unangekündigter Geheimwaffe. Auch wenn man es vielleicht für Schaumschlägerei halten mag, diese beiden noch nicht volljährigen Burschen aus Holland sind die Zukunft des Rock’n’Roll, die genau um 17 Uhr im Beverunger Eisstadion begonnen hat. Es ist einfach nicht zu erklären, woher die Jungs diese rockhistorische Foundation haben, die perfekten Sounds zwischen Heavy Blues Rock und ekstatischem Space Noise zu spielen, laut und doch präzise, dabei eine alles wegblasende Power entwickeln und dazu noch monumentale Songs bauen. Das unterschreibe ich jedem Zweifler: ihre beiden offensichtlichen Vorbilder Black Keys und White Stripes hauen sie locker weg. The Next Generation.
Jetzt zu den Headlinern: am Freitag die
Fuzztones, Rudi Protrudis wegbereitende New Yorker Garage Punk-Band. Vielleicht eine Spur zu abgeklärt, aber zweifellos die richtige Band zum richtigen Zeitpunkt. Rudi hat sich erstaunlich gut gehalten und wenn die drei letzten Songs des ersten Abends „Cinderella“, Strichnyne“ und „Have Love Will Travel“ heißen, kann man nichts falsch gemacht haben. Die Band mit den mit Abstand meisten Bekennern per T-Shirt.
Dann der Samstag: vorab nervöses Rumfragen – sind sie auch wirklich angekommen, die Youngsters
Kitty, Daisy & Lewis, praktisch
direkt von ihrer US-Tour mit den bräsigen Stadionrockern Coldplay ins Weserbergland eingeflogen. Ja, sie waren da, standen kurz vor 23 Uhr mit Mom (Upright Bass) und Dad (Gitarre) auf der Bühne und machten dann auch wirklich alle glücklich. Optisch so niedlich und unbeholfen schüchtern, musikalisch dafür um so kompetenter und authentischer, spielten sie ihre unschlagbare Hit-Collection, alles tanzte, klatschte und lachte, ob nun Funkster, Rockabilly oder Fuzztones-Shirtträger. Yep, ein würdiger Headliner und perfektes Finale für ein Festival, wie es noch keines gab. Abschließend sang man dann noch gemeinsam mit dem sehr lässigen Samstags-Moderator Reverend Hardy Hardon von der Church Of Elvis ein bewegendes „Amazing Grace“ für den King und alles lag sich euphorisiert in den Armen – um dann erst richtig mit der Party zu beginnen. Aber davon berichten wir dann bald ausführlich an dieser Stelle.
Und keine Angst, auch die anderen Bands waren klasse: am Freitag die eröffnenden
Boonaraaas als gutes Omen für das ganze Festival,
Big John Bates als Gute-Laune-Showact mit seinen sexy Ladies und einer mächtigen „Goo Goo Muck“-Version als Finale. Am Samstag die famosen
Juke Joint Pimps, die später in den Pausen im Freien vor dem Yacht Club fast noch besser waren und auch schon fürs nächste OBS gebucht sind, Michael Sheehy und Patrick
McCarthy mit ihrer anderen, wesentlich lauteren Band
Saint Silas Intercession (selten einen Sänger mit so hochrotem Kopf gesehen, Patrick!), die
Penetrators unter Hochspannung (Gitarrist Crispin spielte mit Trümmerbruch der rechten Hand!) und die jungen
Vicars mit den besten Frisuren und einem herrlich frischen und gut geklauten Mix aus The Who und den Kinks. Und selbst der prinzipiell erklärungsbedürftige
Tav Falco konnte mich schon früh mit seiner „Sway“-Version (Dean Martin) und einer bizarren Tango-Tanzeinlage für sich gewinnen.
Über alles Weitere – die DJs, das Ambiente, die Stimmung, der famose Soundcruiser, berichten wir in den nächsten Tagen. Nur noch so viel: der herrlich familiäre Vibe, den wir ja vom OBS gewohnt sind, hat sich problemlos in die Eisbahn übertragen und selbst die im Vorfeld als eventuell schwierig gehandelten Headliner wie Rudi Protrudi, der nach eigenem Bekunden ja den Garagen-Punk vor 30 Jahren ganz allein erfunden hat, waren von Anfang bis Ende dabei, und zwar im Publikum, draußen auf der Wiese liegend und von jedem ansprechbar. Solange man ihm nicht die Whiskeyflasche klauen will, ist der Mann sogar richtig handzahm. Und erst Kitty, Daisy & Lewis: statt abgeschirmter Jungstars gaben die drei nach dem Konzert erst richtig Gas: die Mädchen wild und ausdauernd im Soul Shack tanzend, den schüchternen Lewis durfte ich sogar zum DJ-ing animieren, was er dann mit reichlich Ska und Rocksteady (aus fremden DJ-Kisten zusammengeklaubt) auch bestens im Griff hatte.
Backstage fanden dann bis in den frühen Morgen gutgelaunt-trunkene Jams und spontane
Bandverbrüderungen am Biertisch statt.
Dies mal als ersten Grobbericht, ich hoffe mal, dass sich an dieser Stelle bald auch noch andere Berichterstatter finden. Eines muss ich aber auch noch los werden: das wirklich einzige Manko dieses rundum großartigen Wochenendes war der leider zu dürftige Besucherzuspruch. Wer sich das entgehen lassen hat, ist wirklich ganz schön blöd.
(whirlyjoe)