Sjock 35 – ein Reisebericht
Das Sjock ist ein Festival in Belgien, welches dieses Jahr das 35. Mal stattfand. Tatsächlich stieg das 1. Sjock im Jahr 1976. `78 spielten dort Herman Brood & His Wild Romance und die Count Bishops. 1979 war der Headliner Wilko Johnson. In den 80ern hatten sie The Troggs, The Fuzztones, Dr. Feelgood und die Godfathers auf der Bühne. In den 90ern dann The Selecter, Monster Magnet, Radiohead (tatsächlich) und Aztec Camera, Zion Train, Propellerheads, Andre Williams etc.
Im letzten Jahrzehnt kehrte man schließlich zu den Wurzeln zurück. Mit dabei z.b. Nashville Pussy, New Bomb Turks, Nine Pound Hammer, The Nomads, Cosmic Psychos, Mudhoney, Bellrays, The Sonics, Supersuckers und Turbonegro.
Das Sjock findet in Gierle statt, einem kleinen Ort nahe Turnhout in Belgien. Beim Sjock geht es um Rock & Roll, Country, Surf, Garage-Punk, Rockabilly und allem, was stilistisch da noch reinpasst. 2008 war ich das erste Mal dort (wegen The Sonics), 2010 musste ich trotz Hitzewelle und WM-Endspiel wieder hin. Ich hatte beschlossen, noch nicht zu alt für ein Rock & Roll Festival zu sein.
Den Psychobilly Friday mit den Meteors als Headliner schenkte ich mir und da am Samstagnachmittag beim sogenannten Sjowcase sechs aufstrebende Bands aus der 3. Liga aufspielen, passte der eigentliche Festivalbeginn von 18 Uhr ganz gut ins Wetter. Aber natürlich wurde trotzdem geschwitzt, was die Poren hergaben. Da musste man schon stark am Glas sein, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen.
Gefühlte 1.500 Schaulustige tummelten sich auf dem Fußballfeldgrossen Festplatz, vor Kopp die Hauptbühne, rechts dran lang der Titty Twister, ein zirka 50 Meter langes Zirkus-ähnliches Zelt. Die Bands spielen immer abwechselnd, wobei die Setlänge zwischen 45 und 60 Minuten erfrischend auf den Punkt ist.
So tanzte ich am Samstag zu The Grit und Knucklebone Oscar, ließ es mir von den großartigen Legendary Shack Shakers besorgen, von Peter Pan Speedrock platt machen und vom Reverend Horton Heat mit Hi-Speed Rockabilly wieder aufpäppeln. Vor dem Rev sah ich im Titty Twister noch Luis And The Wildfires, ein satt rockendes Quartett aus Los Angeles, deren Billy & Roll-Mischung gut ins Tanzbein ging, wobei die spanischen Versionen von Baby Please Don’t Go und Get Of My Cloud neben ihrem Dance In The Rain am heftigsten Eindruck hinterliessen. Frontmann Luis ist schon eine echte Type.
Apropos Dance In The Rain, so gegen 22 Uhr war auch das möglich, denn es kam mordsmäßig was runter. Meine braunen Wildleder Pumas hatte ich vorher schon mit Mayo und Ketchup dieser großartig doppelt frittierten Frites Special (rot-weiß mit Zwiebeln!) versaut, nach dem Unwetter waren sie ganz hinüber.
So dackelte ich von Hitze, Bier und Rock & Roll ermattet in meinen Ford Transit und schlummerte mit dem Regen, der auf das Dach meiner Herberge prasselte, zufrieden ein. Big Sandy & His Flyrite Boys morgens um 2 musste ich leider ausfallen lassen.
Gegen 8 Uhr am Sonntag war es dann vorbei mit der Ruhe, denn die Sonne heizte mein Mobil unbarmherzig auf. Da half auch eine kurze Verlagerung in den Schatten nichts. Als beschloss ich mal in Turnhout zu frühstücken und danach an einem Badesee 2 km von Gierle entfernt die Siesta zu verbringen. Sehr relaxt und gut gelaunt schenkte ich mir die ersten paar Bands und schlug bei der Moonshine Reunion auf dem Festivalgelände auf, deren relaxter Oldschool Countrybilly direkt schwer durstig machte. Patt Todd, der einstige Frontmann der Lazy Cowgirls, brachte die überschaubare Menge gegen 16 Uhr mit seinen Rankoutsiders in Bewegung, ganz klar der Danny de Vito des Rock & Roll, mit einer ganz abgezockten Band im Rücken. Auf Mr. De Vito sollte Jim Carey folgen, denn die belgischen Seatsniffers bauten zu viert in einer Reihe auf, zu Recht, denn der Drummer war eine Show und gehörte an den Bühnenrand. Stellt euch die Mimik und Bewegungen von Jim Carey in seinen abgefahrensten Filmen vor, dann habt ihr es. Un-fucking-glaublich. Dazu rockte die Band zwischen Billy und R&B trotz 15 jährigem Bühnenjubiläum frisch drauflos, dass ich die Truppe mal direkt ganz hoch in meinen Festival-Top-5 führen möchte. Das absolute Highlight folgte auf dem Fuße – die Jim Jones Revue. Die hatten ihren Slot kurzfristig mit den Fleshtones getauscht, weil Bandboss Rupert Orton nicht während des WM-Endspiels auf die Bühne wollte. Das habe ich nur am Rande mitbekommen, sowieso muss ich sagen, erlaubte man sich einige kurzfristige und unangekündigte Wechsel im Line-Up, ohne die Meute zu informieren. Denen war es aber fast egal, die wilde Mischung aus blitzsauber rausgeputzten 50s Types und Dreckspunks, aus harten Musikfans und jeder Menge Randexistenzen, war eh voll auf Feiermodus. Aber ich hätte mich verdammt geärgert, wenn ich die Jim Jones Revue nicht gesehen hätte. Das war absolut mörderisch, was das Quintett da hinlegte. Mit richtigem Rock & Roll Pianisten (wo sieht man das heute noch?) wurde der eine oder andere Little Richard Clone vom Stapel gelassen und ich hätte nie gedacht, dass mich das so wegbläst. Das hatte Druck und Tempo, das war fett und absolut mitreißend, mit einem Sänger mit Starqualitäten und einer Röhre, die uns scheinbar mühelos die A-Wop-Bap-A-Lu’s um die Ohren haute. Und meine Fresse, konnte der Gitarre spielen – er tat es nur viel zu wenig. Aber die war eigentlich in den Händen von dem eingangs erwähnten Mr. Orton in guten Händen.
Gut eingestimmt nahm ich die Dragtones (mit Luis von den Wildfires) so nebenher mit, ließ mich von den Fleshtones in gute alte Zeiten entführen und fand auch die Paladins im Titty Twister ganz erfrischend. Der Hauptact am Sonntag sollte dann das Rocket Room R&B Revival feat. Howlin’ Pelle sein, eine 8-köpfige schwedische Allstar Band um den Sänger der angesagten Hives. Die wollten aber nicht anfangen, da das Endspiel in der Verlängerung war. Also ging ich erstmals an diesem Wochenende zum Big Screen, mischte mich unter die Oranjes und sah 30 Sekunden nach meinem Eintreffen das 1:0 der Spanier, nur um auf dem Absatz kehrt zu machen und zufrieden in mich hinein zu gnicheln.
In diesem Moment hörte ich auf der Hauptbühne ein ziemliches Getöse und die Band legte los. Das klang ziemlich gut, aber nur so lange, bis der Oberarsch von Sänger auftauchte. Selten so einen unsympathischen Wichser gesehen, der zwischen den Songs die allerblödesten Ansagen machte, das Publikum ständig zu irgendwelchen Scheiß Mitmach-Spielchen verleiten wollte und dann eben noch ein wenig ekliger wurde, weil die gestandenen Rock & Roller im Publikum natürlich ab der ersten Sekunde wussten, dass da eine Pfeife auf der Bühne stand. Howlin Pelle sah nun tatsächlich auch ein wenig wie Jim Carey aus und hatte auch etwas von dessen Gesten und Mimik. Nun stellt euch den in seiner besten Ekelrolle vor.... Pelle kannte die Songs nicht, musste die Texte teilweise ablesen und bekam dann auch so langsam Stoff vom Publikum. „Halt die Fresse“ von links, „shut the fuck up“ von rechts und ein alternder Herr aus dem Weserbergland ließ sich zu diversen „Arschloch“ (in good old German) hinreißen. Aber irgendwie hat es Spass gemacht und ich stellte mir dann vor, wie ich in gute alter Walter Sobchak-Tradition mit einem guten Stück Eisen auf dem Auto von Howlin‘ Pelle rumdresche und dabei schreie: „ See! That’s what happens when you fuck rhythm & blues in the ass!“
Irgendwann hatte ich die Nase aber voll von dem Affen und auf dem Weg zum Auto hörte ich noch “Yeah, throw more beer!” (da hatte er wohl einen vollen Becher abbekommen, wie sich nachher herausstellte) und dann war ziemlich schnell Schluss. Im Sjock-Gästebuch meinte jemand, der Auftritt wäre eine Parodie gewesen, es hätte nur keiner den Witz verstanden.
Zeit für ein Fazit: Das Sjock 35 war eine runde Sache. Kühles Bier und doppelt Frittiertes sorgten für das leibliche Wohl, dazu gab es wie am Schnürchen eine stilistisch recht weitreichende Auswahl an Spoonful-kompatiblen Sounds zu hören, der Sound war immer erstklassig, die Wege (Parkplatz, Camping, Festivalground) extrem kurz und mit dem frisch entdeckten Freizeitpark/Baggersee erhöht sich der Wohlfühlfaktor enorm. Ein paar Recordstalls und Klamottenshops gab es zum gucken und sowieso war das eh das Beste – einfach nur den Vibe einfangen und die Leute (da war wirklich alles vertreten) anschauen. Yeah, Rock & Roll und Bier trinken!! Taugt. Kann man wiederholen... (R-man)