Samstag, 1. März 2014



Günter Ramsauer – Songs To Remember
Geschichten aus der Zwischenwelt im Delta der Fußnoten, Vol. 1

Pop-Literatur in deutscher Sprache und dann noch in herausragender Qualität, gibt es die (noch)? Selten genug würde ich meinen. Umso höher ist es zu bewerten, wenn sich ein unermüdlicher Autor die Finger wundschreibt, um den geneigten Lesern seinen weitgefächerten musikalischen Kosmos unterhaltsam und fachkundig näherzubringen und dabei stets aufmerksam am Puls der Zeit bleibt und gleichzeitig auch traditionsbewusst vorgeht.

Ein solcher Schriftsteller – ich möchte ihn sogar Pop-Poet nennen - ist Günter Ramsauer. Er formuliert schon seit Jahrzehnten formidable Musik-Kritiken und glänzt dabei durch umfangreiches Fachwissen und abwechslungsreiche, hilfreiche Formulierungen. 2004 veröffentlichte er sein erstes Buch. Dieses Insel-Alben Buch, das 100 Highlights der Pop-Musik-Geschichte von 1961 bis 2002 vorstellt, ist für mich ein immer wieder zitiertes, wertvolles Nachschlagewerk geworden. Man kann seine eigene Einschätzung vorzüglich mit der von Günter abgleichen und bleibt bestätigt, erstaunt oder mit einem Aha-Erlebnis zurück.
Ich habe meine Sammlung aufgrund der Empfehlungen ergänzt und war stets erfreut, wieder ein neues Schmuckstück entdecken zu dürfen. Günter ringt der Idee, seine individuelle Sichtweise auf das Musikhören öffentlich zu machen, dabei neue Aspekte ab. Er geht nicht belehrend vor, schafft es aber trotzdem, den Leser auf eine anregende Reise mitzunehmen und ihm neue Sichtweisen zu verschaffen. Er bleibt kritisch, vermittelt dabei aber seine innige Verbindung zu Tönen und Zusammenhängen. Es macht schlicht Spaß, seine Auswahl kennen zu lernen und seine Begründungen nachzuvollziehen.

Basierte sein erstes Buch ausschließlich auf Fakten, so ist das neue Buch nicht so leicht zu durchschauen. Tatsachen, Erlebtes und Ausgedachtes werden vermengt und dem Leser bleibt es überlassen zu entscheiden, welche Inhalte der Darstellungen er glauben möchte und was er als Fiktion ansieht. 
Aber das Wichtigste ist: Das Ergebnis ist extrem kurzweilig. Alle Gedanken haben als Basis die Erinnerungen und Assoziationen der Hauptperson Gert Ramschweiner zum Thema. Ähnlichkeiten zum Autor sind dabei nicht rein zufällig. Es findet eine Kombination zwischen den Schilderungen und der damit in Verbindung gebrachten Musik und der zitierten Song-Lyrik statt. Die Erzählungen werden zum Soundtrack eines Lebens. 16 Geschichten, basierend auf persönlichen Erfahrungen, schildern poetisch Alltägliches und Besonderes. Der Leser meint manchmal, den Autor durch die Episoden kennenzulernen, kann sich dabei aber nie ganz sicher sein. 

Man wird auf eine Zeitreise mitgenommen und erfährt prägende bis hin zu traumatischen Erlebnissen. Wie oft bei Günters Worten wird der tiefere Sinn der Story erst deutlich, wenn man die Geschichte sacken lässt und mit eigenen Erfahrungen abgleicht. Er zeigt zum Beispiel auf, dass das Scheitern im Leben positive Seiten haben kann, die sich aber erst später als solche zeigen. 
Diese Erlebnisse können zu neuen Ufern führen, einen Richtungswechsel einläuten oder einen Lerneffekt auslösen. Die Geschichten zeigen auch die Irrungen und Wirrungen des Heranwachsens auf. Sie bestechen durch ihre bildhafte Ausdrucksweise und schonungslose Ehrlichkeit. Sie zeigen aber auch Geschehnisse auf, von denen man hofft, dass diese zu den Erdachten gehören. So unheimlich und verstörend werden sie präsentiert. Auch der ganz normale tägliche Alltags-Wahnsinn tobt in diesen Gedanken. Von heiter bis bedrohlich ist alles dabei. Und alle Schilderungen werden mit erlesenen musikalischen Assoziationen verwoben. 
Die Worte ranken sich um Songs, die mit den Episoden eine Einheit eingehen. Mal ist die Musik als Hintergrundbeschallung im Gedächtnis geblieben (Julie Driscolls Version von SEASON OF THE WITCH in einer Kneipe), mal kommt sie zufällig richtungsweisend aus dem Radio (Ray Charles I BELIEVE TO MY SOUL) oder sie dient bewusst zur Untermalung einer Lebenssituation (Billie Holidays I DON`T WANT TO CRY ANYMORE für ein Filmprojekt, Van Morrisons MADAM GEORGE bei ersten sexuellen Erfahrungen). Immer sind die im Langzeitgedächtnis von Gert Ramschweiner gespeicherten Kombinationen ein subjektiv wichtiger Bestandteil seiner Entwicklung. Die Songs werden von Günter dabei untrennbar mit den Erlebnissen in Verbindung gesetzt. Das Leben wird zum Mixtape oder das Mixtape zum Lebenslauf. 

Normalerweise brauche ich als Genussleser immer sehr lange, um ein Buch durchzulesen. Dieses mochte ich aber kaum aus der Hand legen. Es liest sich leicht und locker, die geschilderten Beweggründe sind nachvollziehbar und der Musikliebhaber bekommt reichlich Futter zum Nachspüren. Wer sich ein Bild über die literarische Qualität machen möchte, der hat die Gelegenheit, auf Günters Web-Seite ein Kapitel Probe zu lesen und er findet dort auch einen Link zu den Musikbeispielen, die den einzelnen Artikeln zu Grunde liegen. 

(Heino Walter)