Freitag, 28. März 2014
Samstag, 1. März 2014
Günter Ramsauer – Songs To Remember
Geschichten aus der Zwischenwelt im
Delta der Fußnoten, Vol. 1
Pop-Literatur in deutscher Sprache
und dann noch in herausragender Qualität, gibt es die (noch)? Selten genug
würde ich meinen. Umso höher ist es zu bewerten, wenn sich ein unermüdlicher
Autor die Finger wundschreibt, um den geneigten Lesern seinen weitgefächerten
musikalischen Kosmos unterhaltsam und fachkundig näherzubringen und dabei stets
aufmerksam am Puls der Zeit bleibt und gleichzeitig auch traditionsbewusst
vorgeht.
Ein solcher Schriftsteller – ich
möchte ihn sogar Pop-Poet nennen - ist Günter Ramsauer. Er formuliert schon
seit Jahrzehnten formidable Musik-Kritiken und glänzt dabei durch umfangreiches
Fachwissen und abwechslungsreiche, hilfreiche Formulierungen. 2004 veröffentlichte
er sein erstes Buch. Dieses Insel-Alben Buch, das 100 Highlights der
Pop-Musik-Geschichte von 1961 bis 2002 vorstellt, ist für mich ein immer wieder
zitiertes, wertvolles Nachschlagewerk geworden. Man kann seine eigene Einschätzung
vorzüglich mit der von Günter abgleichen und bleibt bestätigt, erstaunt oder
mit einem Aha-Erlebnis zurück.
Ich habe meine Sammlung aufgrund der
Empfehlungen ergänzt und war stets erfreut, wieder ein neues Schmuckstück
entdecken zu dürfen. Günter ringt der Idee, seine individuelle Sichtweise auf
das Musikhören öffentlich zu machen, dabei neue Aspekte ab. Er geht nicht belehrend
vor, schafft es aber trotzdem, den Leser auf eine anregende Reise mitzunehmen
und ihm neue Sichtweisen zu verschaffen. Er bleibt kritisch, vermittelt dabei
aber seine innige Verbindung zu Tönen und Zusammenhängen. Es macht schlicht
Spaß, seine Auswahl kennen zu lernen und seine Begründungen nachzuvollziehen.
Basierte sein erstes Buch
ausschließlich auf Fakten, so ist das neue Buch nicht so leicht zu
durchschauen. Tatsachen, Erlebtes und Ausgedachtes werden vermengt und dem
Leser bleibt es überlassen zu entscheiden, welche Inhalte der Darstellungen er glauben
möchte und was er als Fiktion ansieht.
Aber das Wichtigste ist: Das Ergebnis
ist extrem kurzweilig. Alle Gedanken haben als Basis die Erinnerungen und
Assoziationen der Hauptperson Gert Ramschweiner zum Thema. Ähnlichkeiten zum
Autor sind dabei nicht rein zufällig. Es findet eine Kombination zwischen den
Schilderungen und der damit in Verbindung gebrachten Musik und der zitierten
Song-Lyrik statt. Die Erzählungen werden zum Soundtrack eines Lebens. 16
Geschichten, basierend auf persönlichen Erfahrungen, schildern poetisch Alltägliches
und Besonderes. Der Leser meint manchmal, den Autor durch die Episoden kennenzulernen,
kann sich dabei aber nie ganz sicher sein.
Man wird auf eine Zeitreise
mitgenommen und erfährt prägende bis hin zu traumatischen Erlebnissen. Wie oft
bei Günters Worten wird der tiefere Sinn der Story erst deutlich, wenn man die
Geschichte sacken lässt und mit eigenen Erfahrungen abgleicht. Er zeigt zum
Beispiel auf, dass das Scheitern im Leben positive Seiten haben kann, die sich
aber erst später als solche zeigen.
Diese Erlebnisse können zu neuen Ufern
führen, einen Richtungswechsel einläuten oder einen Lerneffekt auslösen. Die
Geschichten zeigen auch die Irrungen und Wirrungen des Heranwachsens auf. Sie bestechen
durch ihre bildhafte Ausdrucksweise und schonungslose Ehrlichkeit. Sie zeigen
aber auch Geschehnisse auf, von denen man hofft, dass diese zu den Erdachten
gehören. So unheimlich und verstörend werden sie präsentiert. Auch der ganz
normale tägliche Alltags-Wahnsinn tobt in diesen Gedanken. Von heiter bis
bedrohlich ist alles dabei. Und alle Schilderungen werden mit erlesenen
musikalischen Assoziationen verwoben.
Die Worte ranken sich um Songs, die mit
den Episoden eine Einheit eingehen. Mal ist die Musik als
Hintergrundbeschallung im Gedächtnis geblieben (Julie Driscolls Version von SEASON
OF THE WITCH in einer Kneipe), mal kommt sie zufällig richtungsweisend aus dem
Radio (Ray Charles I BELIEVE TO MY SOUL) oder sie dient bewusst zur Untermalung
einer Lebenssituation (Billie Holidays I DON`T WANT TO CRY ANYMORE für ein
Filmprojekt, Van Morrisons MADAM GEORGE bei ersten sexuellen Erfahrungen). Immer
sind die im Langzeitgedächtnis von Gert Ramschweiner gespeicherten Kombinationen
ein subjektiv wichtiger Bestandteil seiner Entwicklung. Die Songs werden von
Günter dabei untrennbar mit den Erlebnissen in Verbindung gesetzt. Das Leben
wird zum Mixtape oder das Mixtape zum Lebenslauf.
Normalerweise brauche ich als
Genussleser immer sehr lange, um ein Buch durchzulesen. Dieses mochte ich aber kaum
aus der Hand legen. Es liest sich leicht und locker, die geschilderten
Beweggründe sind nachvollziehbar und der Musikliebhaber bekommt reichlich
Futter zum Nachspüren. Wer sich ein Bild über die literarische Qualität machen
möchte, der hat die Gelegenheit, auf Günters Web-Seite ein Kapitel Probe
zu lesen und er findet dort auch einen Link zu den Musikbeispielen, die den
einzelnen Artikeln zu Grunde liegen.
(Heino Walter)
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